Sufizentrum Braunschweig
  Mêvlana Rumi
 



Ein Sufi ist der, der nur nach Allâh verlangt


Mawlana Jalaluddin Rumi

Wir gehören zu der Zeit, in der wir uns befinden. Wir leben nicht für die Zukunft, sondern wir gehören unserer Zeit an. Was sich in der Zukunft befindet, geht uns nichts an, bis wir jene Zeit erreicht haben. Wir müssen uns sorgfältig um die Zeit kümmern, in der wir uns gerade befinden, und nicht darum, was danach kommt. Wir müssen uns nur über die gegenwärtige Zeit Gedanken machen und dafür Sorge tragen, die jeweils anstehenden Pflichten und Gebote auszuführen, deren Einhaltung uns aufgetragen wurde. Wir müssen ausschließlich darauf schauen, was uns für das Jetzt befohlen worden ist. Wir werden niemals zur Rechenschaft gezogen für die Taten von morgen. Solange du das Morgen nicht erreicht hast, bist du nicht dafür verantwortlich. Du trägst nur die Verantwortung für „jetzt, jetzt, jetzt“... Bis die Zukunft eintritt und zum Jetzt wird, bist du in keiner Weise dafür verantwortlich. Es hat keinen Wert, darüber nachzudenken. Jeder ist nur verantwortlich für die Zeit, in der er sich befindet. Wenn du darüber nachdenkst, was in den kommenden Tagen passieren wird, wirst du davon nur müde werden, und es drückt wie eine schwere Last auf dich. Allâh macht es uns so leicht damit, daß wir nur für eine kurze Zeitspanne verantwortlich sind. Kümmere dich um das, was jetzt gerade wichtig ist. Wenn das vollendet ist, kommt der zweite Schritt. Auch der geht zu Ende, und dann kommt der dritte Schritt. Denke nicht an weitere Schritte, bis die Zeit für sie gekommen ist.

Wir haben ein Sprichwort, das lautet: „Ein Sufi ist der, der nur nach Allâh verlangt.“ Er will nur zu Ihm gelangen. Doch die meisten Menschen verlangen nur nach dieser Welt. Sie sind beschäftigt mit so vielen Dingen, doch nicht so die Sufis. Der Sufi versucht, diese Welt abzulegen und zu verlassen und zu maula, zu Allâh zu gelangen. Ein arabisches Sprichwort sagt: „Sufî ibn waqtihi.“ „Der Sufi ist der Sohn seiner Zeit.“ Der nur danach verlangt, Allâh zu erreichen, Gott zu finden. Die Menschen haben ihren Gott verloren. Doch das macht ihnen nicht das geringste aus. Sie kümmern sich nicht weiter darum.

Es kam einmal jemand zu Maulânâ Jalaluddîn Rûmî, während dieser gerade mit seinen Schülern zur Unterweisung zusammensaß. Der Mann kam weinend und schreiend wie ein Verrückter auf Maulânâ zugestürzt, küßte ihm Hände und Füße, und auf die Frage, was denn geschehen sei, sagte er: „O Maulânâ, ich habe meinen Sohn verloren. Wir haben überall nach ihm gesucht und konnten ihn nirgends finden. Niemand außer dir kann mir zeigen, wo er ist, und mich zu ihm führen.“ Durch die Worte des Mannes geriet Maulânâ in Extase und fing an, sich zu drehen und sich vom Boden weg in die Luft zu erheben. Die göttliche Liebe, die durch sein Herz strömte, hob ihn empor. Er sagte: „O Diener meines Herrn, du weinst um deinen Sohn und wirst fast verrückt dabei, und diese Leute hier haben ihren Herrn verloren und weder fragen sie nach Ihm, noch weinen oder schreien sie nach Ihm. Was ist wertvoller, was du verloren hast oder was sie verloren haben? Die Menschen haben ihren Herrn verloren und verlangen und fragen nicht nach ihm!“

Der Sufi hat erkannt, was er verloren hat, und macht sich auf, danach zu suchen. Menschen ohne Verstand können nicht begreifen, was Tarîqa, der Sufiweg, ist. Ihr Köpfe sind leer wie Fußbälle. Sie haben Quadratköpfe. Wir versuchen, jene Wege zu praktizieren und die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was sie verloren haben. Wir wollen sie dazu bringen, daß sie jenen Verlorenen suchen. Wir schicken die Leute nicht der Welt hinterher. Selbst der Flügel eines Moskitos ist mehr wert in der Göttlichen Gegenwart als diese ganze Welt. Trotzdem kämpfen die Menschen um sie und verlassen ihren Herren. Sie wollen nur dunya, nicht maula. Die gesamten Probleme der Menschheit haben ihren Ursprung in diesem Punkt. Wir wollen ihn näher beschreiben: Der Sufi lebt immer in der Zeit, in der er sich gerade befindet. Er denkt jeden Augenblick: „Das ist der letzte Moment meines Lebens. Ich habe keine Zeit mehr danach. Ich werde vor meinem Herrn erscheinen, es muß jeden Augenblick soweit sein...“ Deswegen wird für jemanden, der sein Leben auf einen Sufiweg einrichtet, diese Welt keine schwer zu tragende Last mehr sein. Shaitân findet keinen Zugang mehr zu ihm, und er wird dadurch von Shaitâns Einfluß befreit sein. Wenn jemand frei von dieser Welt geworden ist, verläßt ihn Shaitân. Er kann die Menschen nur mit Dunya verführen. Wenn Dunya verschwindet, kann er dich nicht mehr betrügen. Deshalb bedrängt er die Menschen, ununterbrochen an diese Welt zu denken.

Jeden Tag hebt Shaitân die Welt in seiner Hand hoch und ruft aus: „O ihr Leute, wer will sie kaufen, diese Welt, die nur verletzt und zu nichts nutze ist?“ Und die Leute sagen: „Wir sollen sie kaufen, wir lieben sie über alles.“ Und Shaitân verkauft so diese eine Welt an Milliarden von Menschen. Er verkauft jedem dieselbe Welt, und er sagt: „Ich habe sie schon vor euch an andere verkauft. Sie kam immer wieder zu mir zurück. Ich verkaufe sie, und ihr kauft. Der Preis ist zwar etwas hoch, doch das macht euch sicher nichts aus: Ihr müßt nur euer ewiges Leben dafür hergeben, und schon könnt ihr sie nehmen.“

So hat Shaitân schon Milliarden betrogen, und immer noch hält er die Welt in seiner Hand: „Ich bin ihr Stiefvater, ich muß einen Gewinn daraus ziehen.“ Und Millionen Menschen reißen sich darum, sie ihm abzukaufen. Wer die Welt durchschaut hat, kann sie leicht ablegen, er klammert sich nicht mehr an sie. Wenn du etwas mit Gewalt festhalten willst, wird es dich verlassen.

Ein Sufi ist der, der Dunya verstanden hat und nur noch nach seinem verlorenen Herrn verlangt. Wer nach seinem Herrn verlangt, ist geehrt hier und im Jenseits. Nicht so die anderen. Die Sufis sind geehrt im Diesseits und im Jenseits. Versucht, nach Maula zu verlangen, Ihn zu finden und immer mit ihm zu sein. Andernfalls werdet ihr keinen Frieden finden, kein Glücklichsein hier oder im Jenseits, wenn ihr nicht den Herrn findet. Wer nach Ihm verlangt, dem wird alles Freude bereiten. Versuche, den Herrn zu finden, und Er wird dir Frieden und Licht und Gnade schenken. Suche Ihn, und wenn du Ihn findest, erreichst du alles im Diesseits und im Jenseits.

 
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