Osmanische Herberge
KALL, Dezember 2006. Immer wieder öffnet sich die Tür in der Herberge, Menschen treten ein, sie begrüßen sich freundlich mit „Salem Aleikum“. Händler legen im großen Saal ihre Sachen aus, Familien suchen eine Schlafstatt, Kinderlärm dringt über die Flure. Eine familiäre Atmosphäre entsteht in der Osmanischen Herberge bei Kall in der Eifel.
Sie sind eine Minderheit unter den drei Millionen in Deutschland lebenden Muslimen: die Anhänger des Haqqani Trust, die dem sufischen Islam folgen, einer mystischen Strömung, bei dem die innere Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht. Einmal in der Woche kommen Mitglieder zum Dhikre, der wiederholten Anrufung Gottes, in dem idyllisch gelegenen Ort Kall-Sötenich zusammen.
Seit 1995 ist hier das deutsche Zentrum die Osmanische Herberge, zu der ein reguläres Restaurant mit orientalischer Küche, ein Saal und ein Seminarraum sowie ein Gebetsraum und Unterkünfte für Gäste gehören. Sie versteht sich als Kultur- und Begegnungsstätte für unterschiedliche Kulturen und Glaubensgemeinschaften.
Religiöse Veranstaltungen, auch ökumenischer Art, finden hier ebenso statt wie Musik-Festivals. „Die Menschen in der Gemeinde kennen uns und wissen, das für uns die Grundlehre des Islam Frieden und Toleranz bedeutet, die die Extremisten missbrauchen“, sagt Ahmad Adamek.
„In erster Linie geht es um die Liebe zu Gott und die Fähigkeit, dadurch ein guter Mensch zu werden“, erklärt er weiter. Das Ziel sei, dem Meister zu folgen, der der 40. in einer Kette ist, die direkt auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Dieses 40 Mal überliefertes Wissen reiche bis zur praktischen Lebenshilfe.
Der Weg jedes Einzelnen sei dabei von Selbsterkenntnis, Askese, Meditation und Hingabe gekennzeichnet. Es gäbe keinen Zwang. Entscheidungen, wie das Tragen einen Kopftuches oder bestimmter Kleidung sowie der Verzicht auf Alkohol oder das Fasten im Ramadan, kämen „von innen“ und nicht durch äußerlichen Druck. Die Anhänger entschieden individuell, ob sie ihre Überzeugung publik machen oder nicht. Die meisten bekennen sich jedoch offen zu ihrem Glauben und haben arabische Vornamen gewählt.
Die meisten Frauen tragen Kopftücher, viele Männer Gewänder aus Wolle (das Wort „sufi“ leitet sich vom dem persischen „suf“, Wolle, ab), dazu einen Turban um einen kleinen Spitzhut. Einem Mann mit weißem Bart und langem Stock wird besondere Aufmerksamkeit und Ehrerbietung zuteil.
Scheikh Hassan Peter Dyck antwortet jedem lächelnd, fragt nach, gibt Ratschläge. Um ihn zu treffen, mit ihm zu beten und zu meditieren, sind viele aus ganz Deutschland, Großbritannien, Holland und Belgien angereist. Er ist das Oberhaupt des Haqqani Trust, wie sich diese Gruppierung der islamischen Sufi-Gemeinde in Deutschland nennt.
Meister des weltweiten Ordens ist der 84-jährige Scheich Nazim Adl al-Haqqani al-Kubrusi, der auf Zypern lebt. Auf der Suche nach einem spürbaren Gott, fand Dyck wie viele Glaubensbrüder zum Sufismus. Als evangelischer Christ in Berlin aufgewachsen, beschäftige er sich früh mit Hinduismus und Buddhismus, reiste nach Saudi-Arabien, lernte Arabisch und traf dort Ende der 70iger Jahre seinen „Meister“ und trat zum Islam über. Inzwischen versammeln sich Frauen und Männern durch einen Vorhang getrennt in einem kleinen Raum zu einem ersten Gebet, bei dem die Männer durch ihren mehrstimmigen Gesang Gott anrufen.
Danach in einer kleinen Runde zusammen am Tisch mit nichtmuslimischen Gästen, die jederzeit willkommen sind, ahnt Scheikh Hassan, was kommt - die Frage nach dem islamistischen Terror, der durch die versuchten Kofferbombenattentate in deutschen Regionalzügen für viele hierzulande bedrohlich nahe gerückt ist. Er nimmt einen Schluck Tee und antwortet klar: „Wir sind die einzige Gemeinschaft in Deutschland, die ein schriftliches Werk herausgebracht hat, was per islamischem Gesetz, also per Scharia, die Taten der Selbstmordattentäter und anderer verirrter Attentäter hundertprozentig und ohne Zweifel verurteilt“.
Die Schrift mit dem Titel „Verbot von Angriffen auf Zivilisten“ ist in englisch und auf deutsch erschienen. Scheikh Hassan erklärt, extremistische Gewalt mit Tod und Verderben habe niemals Platz in seiner Religion. „Sufis gehen den Weg der Liebe und des Mitgefühls.“ Er bedauere, dass es durch die Abschaffung des Kalifats und Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches keine großen Führer mehr gebe, die diesen Auswüchsen entgegen wirken könnten. Das Fehlen dieser weisen Männer habe auch erst radikale Schulen ermöglicht.
„Es ist nicht leicht, wenn man immer seine Glaubensentscheidung aus einer Verteidigungshaltung heraus erklären muss“, ergänzt Ahmudullah Khalid. Vor über 20 Jahren flüchtete er mit seiner Familie aus Afghanistan und lebt seitdem in Deutschland. Er nehme sich aber Zeit für jedes klärende Gespräch, weil er weiß, dass sich dann negative Einstellungen auflösten.
Nach reichlich viel Tee und einem Essen folgen Predigt und Nachtgebet mit dem so genannten Zikr, der Anrufung Gottes. Die Männer versammeln sich dazu auf der Empore, die Frauen nehmen auf Teppichen darunter Platz. Eine Trommel begleitet und steigert die Gesänge, in denen Gott gepriesen wird. An diesem Abend ergänzt ein drehender Derwisch mit besonderen Gesten die Lobpreisung der Schönheit des Propheten. „Damit entsteht einfach eine Stimmung“, so Said Becker, „die den Weg unserer Herzen zu Gott beschreibt.“
Quelle: Kölnische Rundschau vom 26.12. 2006
aus der Kölnischen Rundschau (VON KATHRIN HÖHNE)