"Ramadan, das ist mehr als nur eine Hungerkur"
Der Lüneburger Imam und Stadtschuster Ibrahim Bernd-Dieter Wolff.
Lüneburg. Drei Datteln und einen Schluck Wasser vor Beginn der Morgendämmerung: Mit diesem kargen Frühstück begnügte sich der Lüneburger Schuhmachermeister Bernd-Dieter Wolff während des Fastenmonats Ramadan.
Mit dem heutigen Tag beginnt für Moslems das dreitätige Fest des Fastenbrechens. Es drückt die Freude darüber aus, die Entbehrungen der 30-tägigen Fastenzeit des Ramadan erfolgreich auf sich genommen zu haben. Und es mehr als nur eine Hungerkur.
Am Tage arbeitet der gebürtige Berliner Wolff in seiner Werkstatt in der Bardowicker Straße. Klein und gemütliche ist sie. Ein Ledersofa lädt zum Ausruhen ein, drei Barhocker vor dem Ladentisch zum Plausch mit dem Meister. Bereits um 8 Uhr früh schauen die ersten Kunden vorbei.
"Bin ich zu früh für meinen Schuh? Sie wollten ihn kleben?" "Sie können ihn mitnehmen. Die Sohle ist jetzt fest." "Ziemlich mitgenommen sieht er aus. Was soll ich tun." "Sie sollten ihn ein wenig einfetten. Eine Tüte?" "Ja bitte." "Das macht 5,30 gute Frau."
Bernd-Dieter Wolff arbeitet seit 40 Jahren als Schumacher in Lüneburg. Er repariert alles vom ausgelatschten Treter bis hin zum rahmengenähten Meisterstück. Auf dem Arbeitstisch hinter dem Ladentisch türmen sich kaputte Schuhe, in den deckenhohen Regalen der Werkstatt stapeln sich die erledigten Aufträge. Und wieso Ramadan?
Vor vielen Jahren konvertierte der Schuhmachermeister zum Islam. Er ist Anhänger der mystischen Gemeinschaft des Sufi-Ordens. Und er ist Imam - Vorsteher - der kleinen Sufi-Gemeinde in Lüneburg, der etwa 40 Mitglieder angehören. Als Moslem trägt er den Namen Ibrahim. Ursache war ein Urlaub in den 60er Jahren. Statt nach Amerika reiste Wolff nach Damaskus. Dort wurde aus dem Christen ein begeisterter Moslem.
"Ramadan ist nicht irgendein Monat. Es ist die Zeit, die Gott der Allmächtige für sich beansprucht. All das, was wir in diesen Fastentagen machen, sollen wir für Gott tun", sagt der Imam. Der Gläubige überprüft seine Gedanken, Worte und Taten, denn "jede Tat beginnt im Kopf und den muss man im Griff haben." Überhaupt soll einen der Ramadan von allen schlechten Dingen freimachen. Dazu gehören auch Neid, negative Gefühlen, üble Nachrede und Streit.
Jede Fastenzeit ist anders. "Eine Achterbahnfahrt, so war es diesmal für mich", sagt der 66-Jährige, streicht sich wieder und wieder durch seinen grauen Bart und versinkt für einen Moment in ein meditatives Gebet. Die Kundschaft nimmt Rücksicht auf den Mann, der sich der Philosophie des Alltäglichen verschrieben hat und zuhören kann.
Eine Kundin wagt sich vor: "Ich möchte die Einlegesohlen abholen." "Die sind nun endlich da. Die Firma hatte Betriebsferien. Ich hab dorthin gefaxt und nun haben sie gleich zwei Paar geschickt", sagt Wolff prompt.
In Deutschland leben rund 3,2 Millionen Muslime. Der Zentralrat der Muslime schätzt, dass rund die Hälfte der Erwachsenen gefastet haben. Im Mittelpunkt dieser spirituellen Zeit stehen intensive Andacht, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft; sowie das mit Familie und Verwandten, Freunden und Nachbarn begangene Fastenbrechen, sobald das Sonnenlicht erloschen ist.
"Durch die Jahreszeit bedingt, fand in es diesem Jahr erst spät am Tage statt", sagt Wolff. Iftar nennt man in der arabischen Welt das erste Essen nach Sonnenuntergang. Zu diesem Mahl nimmt man besonders nahrhafte Kuchen, Früchte wie Datteln oder gutes Fleisch zu sich.
Das tägliche Fastenbrechen erlebte der Lüneburger Imam zu Hause, bei Freunden oder in der Gemeinde. Dem gemeinsamen Gebet folgte ein üppiges Abendessen. "Nimmt man einen Löffel zuviel, dann sackt der Kreislauf blitzschnell in den Keller."
Manchmal wurde es spät während des Ramadans, sehr spät und Wolff kehrt erst gegen 2 Uhr nach Hause zurück. Zwei, drei Stunden später war er wieder auf den Beinen. "Früher habe ich mir Sorgen gemacht, wie ich alles schaffen soll. Die Schuhe reparieren, die Familie ernähren. Doch ich habe erfahren, dass die Engel es richten. Für alle ist genug da."
Für Wolff ist Spenden eine Selbstverständlichkeit. In seiner Werkstatt steht eine Almosenkasse. Hin und wieder stecken Kunden wie auch der Meister eine Münze hinein.
Das Ende des Fastenmonats wird mit einem großen Fest gefeiert. Alle ziehen ihre schönsten Kleider an und besuchen Freunde und Verwandte. Es werden besonders leckere Speisen zubereitet. Die Kinder bekommen kleine Geschenke und Süßigkeiten. Deshalb heißt dieser Feiertag auch Zuckerfest.
Auch der Imam feiert. Mit seiner Familie und den Gemeindemitgliedern nascht er Datteln und bittet Allah nach Sonnenaufgang um Vergebung der Sünden und eine Segen. "Das ist ein spannender Tag. Alle freuen sich und das Festenbrechen - dieser kleine unscheinbare Augenblick am Ende des Ramadans, das bedächtige Essen der Dattel - es zeigt uns, welch schwache Wesen wir sind."
Autor und Foto: Martina Brinkmann 09.09.2010, Hamburger Abendblatt