Die heilige Nacht: Lailat ul-Qadr
Die heiligen Schriften wurden alle im Monat Ramadân herabgesandt. Die Seiten der Offenbarung, die der Prophet Ibrâhîm a. s. erhielt, kamen am ersten Tage des Ramadân.
Ebenso wurde fünfhundert Jahre später die Thora am ersten Ramadân empfangen. Dâwud a. s. erhielt den Psalter, Zabûr, in der zwölften Nacht des Ramadân. Eintausendeinhundert Jahre später, in der achtzehnten Nacht des Ramadân, wurden die Anâjîl, die Evangelien, ‘Îsâ a. s. geoffenbart.
Die Offenbarung des heiligen Qur’ân fand in der siebenundzwanzigsten Nacht des Ramadân sechshundertzwanzig Jahre danach statt. Daher wird diese Nacht besonders gefeiert, und man nimmt an, daß sie die »Nacht der Macht«, Lailat al-Qadr, ist.
»Siehe, wir haben ihn
in der Nacht al-Qadr hinabgesandt.
Und was läßt dich wissen, was die Nacht al-Qadr ist?
Die Nacht al-Qadr ist besser als tausend Monde.
Hinab steigen die Engel und der Geist (Gabriel) in ihr
mit ihres Herrn Erlaubnis zu jeglichem Geheiß.
Frieden ist sie bis zum Aufgang der Morgenröte.«
(Surat al-Qadr, 97)
[Bei Amina Adil, Ramadan finden wir folgende Beschreibung der heiligen Nacht:]
Als der heilige Prophet seinen Gefährten die Geschichte von Samsun [vgl. a. a. O., S. 36 ff.] erzählt hatte, waren sie betrübt. Er sah, daß sie bedrückt waren, und fragte sie, was sie an dieser Erzählung so traurig stimmte.
Da antworteten sie ihm: »O Rasûlullâh, wir, die Gemeinde des letzten Propheten, was sind wir doch ein schwaches Volk! Dieser Held Samsun, von dem wir soeben vernommen haben, ihm verlieh Allâh der Allmächtige solche Lebenskraft und Stärke, daß er volle zweitausend Monate, das sind zweimal dreiundachtzig Jahre, Ihm dienen und auf Seinem Wege gegen die Ungläubigen streiten konnte! Während wir, wenn wir das Alter von achtzig Jahren erreicht haben, uns kaum von unserem Sitz erheben können. Wir empfinden es als Schmerz und bitteren Verlust, daß uns dieser Lohn versagt bleibt.«
Der heilige Prophet senkte das Haupt und antwortete nicht sogleich. Als er den Kopf wieder hob, war der Engel Gabriel mit einer Offenbarung zu ihm gekommen, und der heilige Prophet teilte seinen Gefährten die Sure der »Macht« (al-Qadr, Sure 97) mit. Der Prophet war darüber voller Freude. Denn diese Sure sagte, daß die Offenbarung des heiligen Qur’ân in der Nacht der Macht begonnen hatte, das heißt, in dieser Nacht der heilige Qur’ân von der wohlverwahrten Tafel al-lauh al-mahfûz in der Göttlichen Gegenwart auf die Erde herabgesandt wurde. »Und weißt du, was sie ist, die Nacht der Macht? Diese Nacht ist kostbarer als eintausend Monate …«, spricht Allâh, und diese kostbare Nacht hat Er der Gemeinde Muhammads gegeben und ihnen zum Geschenk gemacht.
Welches ist nun diese heilige Nacht? Man nimmt allgemein an, es sei die siebenundzwanzigste Nacht des Ramadân, weil dies die Nacht der Offenbarung des Qur’ân ist, aber genau weiß man es nicht. Es könnte jede ungerade Nacht sein, die erste, dritte, siebte, mit größerer Wahrscheinlichkeit aber eine der letzten ungeraden Nächte dieses Monats. Allâh der Allmächtige hat dieses Wissen verborgen gehalten; Er hat diese hochheilige Nacht im Monat Ramadân verborgen, damit jeder Tag des Ramadân geehrt werde. Ebenso hat Er den allerheiligsten Namen im Qur’ân verborgen, denn wüßte einer diesen Namen, so würde er nach nichts weiterem verlangen; so aber, wenn einer den ganzen Qur’ân gelesen hat, hat er damit auch den allerheiligsten Namen gelesen. Auch Seine Heiligen und auserwählten Freunde hat Er in der Menge des gemeinen Volkes verborgen, damit man einen jeden Seiner Diener ehrt und niemanden verachtet, denn man kann nicht wissen, ob nicht gerade der, von dem man es am wenigsten vermutet, einer der Heiligen ist.
In dieser Nacht der Macht befiehlt Allâh der Allmächtige Seinen Erzengeln Jibrîl, Mîkâ’îl und Isrâfîl: »Macht euch bereit!« Jeder dieser Erzengel versammelt dann eine Schar von siebzigtausend Engeln, die wiederum ein jeder siebzigtausend weitere Engel befehligen, und mit wehenden Fahnen steigen die Engelsheere dann auf die Erde herab. Eine ihrer Fahnen ist die »Fahne des Lobes«, unter der am Jüngsten Tage der Prophet Muhammad (s) seine Gemeinde versammeln wird; die zweite Fahne ist die »Fahne der Güte«, die dritte ist die »Fahne der Vergebung« und die vierte die »Fahne der Gnade«. Die »Fahne des Lobes« wird zwischen Himmel und Erde aufgestellt, die »Fahne der Vergebung« auf der ehrwürdigen Kaaba, die »Fahne der Gnade« auf des Propheten Muhammads Grab in Medina und die »Fahne der Güte« auf dem heiligen Haus in Jerusalem. Nachdem die Engel diese Fahnen aufgestellt haben, gehen sie auf Erden umher und entbieten den Friedensgruß. Sie grüßen alle Gläubigen in dieser Nacht. Sie besuchen die Häuser, in denen Muslime wohnen, und grüßen deren Bewohner. Manchen Häusern erteilen sie von außen ihren Gruß und gehen weiter. Andere Häuser betreten sie und geben ihre Salâms, dann gehen sie weiter. Wieder andere Häuser betreten die Engel und begrüßen deren Bewohner sehr herzlich, und wieder andere Muslime werden von den Engeln umarmt und ans Herz gedrückt. So besuchen sie die Gläubigen der ganzen Erde. Welches sind nun die Wohnungen, welche die Engel nur von außen grüßen? Dies sind Häuser, in denen sich ein Hund befindet oder alkoholische Getränke oder auch Bilder. Damit sind nicht gewöhnliche Abbildungen wie etwa Kinderbilder oder überhaupt Photographien usw. gemeint, sondern solche Bilder oder Statuen, die Abgöttern gleich verehrt werden. Solche Häuser werden von den Engeln der Gnade nicht betreten, sie geben lediglich von draußen ihren Gruß und gehen ihres Weges. Die Häuser, die sie zwar betreten, aber nach kurzem Gruß wieder verlassen, sind die Häuser von Schlafenden. Die Bewohner sind sich der heiligen Nacht nicht bewußt, keiner wacht und betet, und die Engel geben ihren Friedensgruß und ziehen weiter. Eine dritte Gruppe von Wohnungen, in welche die Engel eintreten und die Bewohner herzlich begrüßen, sind die, in denen Dhikr und Tasbîh, Lobpreis Gottes, gemacht wird. Und die Häuser, in denen gebetet wird, dort treten die Engel ein und umarmen die Betenden, und Allâh selbst entbietet ihnen den Friedensgruß.
Eines Tages sann der heilige Prophet über den Zustand seiner Gemeinde, und er begann zu weinen, so daß ihm die Tränen über den gesegneten Bart rannen und auf die Erde tropften. »Wie werden sie nur am Jüngsten Tage bestehen können – wird Allâh ihnen ihre Sünden vergeben, oder werden sie für die Hölle bestimmt sein?« Er weinte um seiner Gemeinde willen vom Tage seiner Geburt dreiundsechzig Jahre lang bis zur Stunde seines Todes. Und er rief: »O ‘Azrâ’îl, Engel des Todes, strafe meine Gemeinde nicht, strafe mich lieber statt ihrer.« ‘Azrâ’îl sprach zum heiligen Propheten: »O höchster Prophet Allâhs, ich habe Anweisung, die Seelen der Gläubigen deiner Gemeinde so zu nehmen, wie ich sonst nur die Seelen der Propheten nehme: etwa, wie man ein Haar aus der Butter entfernt.«
Als der Prophet nun wieder um seiner Gemeinde willen weinte, kam der Engel Gabriel zu ihm und sprach: »O Prophet Allâhs, der Herr verspricht, deiner Gemeinde all das zu geben, was Er den vergangenen Propheten gegeben hat – mit Ausnahme des Prophetenranges. Bis auf diesen Rang will Er ihnen dieselbe Gunst und Gnade erweisen. Denn Er sprach: ›Friede sei auf Nûh in den Welten‹, und gab ihm außer dem Friedensgruß auch das Prophetentum und errettete ihn vor der Sintflut, und Er sprach: ›Friede sei auf Mûsâ und Hârûn‹, und gab ihnen Seinen Frieden und machte sie siegreich über Pharao und sicher vor seinen Machenschaften. Dann sprach Er: »Friede sei auf Ibrâhîm‹ – auch Ibrâhîm gab Er Seinen Frieden und schützte ihn vor dem Feuer Nimrods und dessen Verderben. Nun entsendet Er mich (Gabriel wird auch ›Ruh‹, Geist, genannt) in dieser heiligen Nacht der Macht mit Frieden für deine Gemeinde, und wem Er Seinen Frieden sendet, auf den sendet Er auch Seine Gnade; gebt ihnen also diese freudige Botschaft. ›O Mein Geliebter‹, spricht Allâh, ›sei nicht um deine Gemeinde betrübt, denn Ich werde ihnen hohen Rang und Würde verleihen, wenn sie diese Welt verlassen!‹«
So unermeßlich sind die Segnungen des heiligen Monats Ramadân.
Der heilige Prophet soll gesagt haben: »Wer in der heiligen Nacht der Macht dreimal die Shahâda sagt, der erhält drei Geschenke von Allâh dem Allmächtigen: Alle vergangenen Sünden werden ihm vergeben, Er wird ihn fest im Glauben begründen, und Er wird ihn weiterhin auf dem Pfad der Frommen leiten.«
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