Fevâ'ihü'l-cemâl ve fevâtihü'l-celâl
Auszüge aus dem Buch
des Necmeddîn el-Kübrâ
"Der Duft der Pracht und die Eröffnung der Macht"
Verlag silsile, Wien 2009
Alle Rechte sind beim Verlag
Mein lieber Freund wisse wohl, daß Gott dich in dem, was Er liebt und was Ihn zufriedenstellt, dich unterstützt.
Gott ist das Erstrebte (murad) und das Erstrebende (murid) ist ein Licht von Ihm. Gott beließ niemanden in der Dunkelheit und keinem tat Er unrecht. denn in jedem schuf Er einen Geist von sich und eine darin befindliche Vernunft. Einem jedem gab Er "Gehör, Sicht, und Herz."(Qur’ân 46/26)
Jedoch sind alle Menschen blind, außer jene, denen Gott den bedeckenden Schleier hob und die außerhalb dieser Bedeckung bleiben. Diese Bedeckung ist nicht etwas, das von den Menschen getrennt ist, im Gegenteil: es ist die eigene Dunkelheit, die Dunkelheit der eigenen körperlichen Existenz (vücud).
Mein lieber Freund, schließe deine zwei Augen und laß uns sehen, was und wie du siehst. Wenn du sodann sagst: "Ich sehe nichts.", so irrst du dich. Dein Nichtsehenkönnen kommt aus dir selbst hervor.
Eigentlich siehst du in diesem Augenblick die Dunkelheit sehr wohl. Aber wenn du die Dunkelheit deiner Existenz und deiner Verkörperung entfernst, wirst du sie aus diesem Grund ebenso nicht sehen und finden können. So du jedoch deine Augen geschlossen hast, und die Dunkelheit sehen möchtest, verringere einige Dinge deiner Existenz, oder besser bezeichnet, entferne eine Gruppe von Dingen deiner Existenz. Dieser Weg der Verringerung und Entfernung ist das geistige Ringen (mücâhede). In diesem Ringen wird das Fremdartige (asyar) vertrieben und sogar getötet. Das heißt, es sind Mühen und Anstrengungen von Nöten. Das Fremdartige sind die Existenz, die Triebseele (nefs) und der Teufel.
Dieses geistige Ringen bestehet aus drei Wegen:
I. den Körper langsam an eine Verringerung der Nahrung zu gewöhnen. Denn die Nahrung ist eine Kraftquelle für die Triebseele des Körpers, ebenso auch für den Teufel. Ist die Nahrung verringert, ist auch das Fremdregieren und Herrschen über den Geist verringert.
II. das Aufgeben von Auswahl, Wollen und eigenen Ermessen. Es ist das Anvertrauen des Willens an einen befugten Meister (şeyh) und Lehrer, dem dies übertragen wird. Dieses Vorzuggeben ist für dich eine passende Angelegenheit, denn der Schüler ist wie ein kleines Kind. Da das Alter der Reife noch nicht erlangt ist, steht der Şeyh zum Schüler wie ein Vormund, der den sinnlos Geld um sich werfenden, ausschweifenden Menschen eine Ration bemisst.
III. die bekannten acht Vorschriften des Weges (tarikat) des Cüneyd Baġdadi's. Das Erfüllen dieser Vorschriften sind:
1. andauernde rituelle Reinheit (abdest)
2. andauerndes Fasten
3. beständiges Schweigen
4. ständiger Rückzug (halvet)
5. ständiges Gottesgedenken (zikr)
6. dauernde Herzensverbundenheit zum Şeyh
In der Unterordnung der eigenen Verfügung unter der des Şeyhs zieht man bezüglich des Wissens um die wahren Umstände (ilm-i vakiat) daraus einen großen Vorteil.
7. konsequentes Nichtbeachten von Einfällen und Erinnerungen, und diese nicht ins Gedächtnis zurückholen
8.sich nicht der Dinge, die von Gott kommen, ob zu unserem Vorteil oder Nachteil, entgegen zu setzen. So auch das Ablassen den Himmel von Ihm zu erwünschen, oder vor der Hölle bewahrt zu bleiben.
Die Unterschiede zwischen der körperlichen Existenz, der Triebseele und dem Teufel im Stadium des geistigen Ringens
Die Existenz (vücud), nämlich der Körper des Menschen, ist im ersten Unternehmen wie die Schwärze einer Regenwolke. In etwas gereinigtem Zustand erscheint sie als dunkelgräuliche Wolke. Wenn sie zum Sitz des Teufels wird, rötet sie sich. Wenn sie ein wenig mehr von den materiellen Gelüsten und Genüssen enthoben ist und mittels Göttlicher Wahrheiten in das Bestehen übergeht, ist sie im gereinigten Stadium weiß wie eine Wolke. Die Triebseele hat die blaue Farbe des Mittaghimmels. Sie quillt wie das Wasser in einer sprudelnden Quelle hervor. Wenn sie zum Sitz des Teufels wird, nimmt sie eine dunkle und feurige Substanz an und ihr Sprudeln ist etwas geringer. Beim Teufel in der Existenz der Triebseele gibt es keinen Segen und im Benehmen nichts Gutes. Ist sie gereinigt und geläutert, erweist sie Wohltaten und sie bereitet aus sich selbst Gutes für sich selbst und Gutes und nützliche Dinge kommt aus ihr hervor. Ist sie von Bosheit und Schlechtigkeit erfüllt, bringt sie dies ebenso hervor.
Der Teufel erscheint als ein unreines Feuer, das mit Wolken voller Verfluchungen vermengt ist. Er nimmt vor einem die Gestalt gleich einem groß gewachsenen Afrikaner ein, und diese Gestalt zeigt sich in einer besonderen Größe. In hochmütiger Weise kommt er nahe herangelaufen. So du in jenem Moment von ihm entfernt und getrennnt bleiben möchtest, bitte aus deinem Herzen:"Oh Helfer, Der um Hilfe Bittenden, hilf!" Sofort wird er flüchten, aber vergiss nicht, dass, so er dich sieht, du ihn ebenso siehst. Dies ist wie ein Kleid, das an das Kleid angenäht ist.Wenn du die zwei Kleider trennst oder zerreißt, ist sein Auge erblindet und er kann nicht sehen. Auch wenn du seinem Kleid entschlüpft bist, verstehe dies wohl, ist er trotzdem dort, wo du bist. Er fühlt die Verbindung zu dir. Gelegentlich schlägt er dich, auf dass du ihn verfluchst, denn er will eine gemeinsame Sache mit dir haben. Er will ein gemeinsames Spiel und einen Wettkampf. Wenn du ihn verfluchst, ohrfeigst und mit ihm sprichst, spricht er mit dir und treibt seine Späße mit dir, und wird durch die Flüche stärker und damit verlängert er die Angelegenheit mit dir. So man aber schweigt und er einen schlägt, jedoch nicht zurückschlägt und stattdessen sich Gott anbefiehlt, wird er dich darum nicht mehr schlagen können und sich von dir entfernen. So du wieder in deinem Herzen sprichst: "Oh Helfer, Der um Hilfe Bittenden, eile mir zu Hilfe!" und du bei deinem Herrn Zuflucht nimmst, wird er ebenso flüchten.
Die Unterschiede zwischen dem Feuer des Zikrs und dem Feuer des Teufels
Das Feuer des Zikrs ist ein lauteres, rasch loderndes, aufwärts brennendes Feuer. Das Feuer des Teufels ist von trüber, rauchiger Dunkelheit und hat eine schwerfällige Bewegung.Die Unterschiede zwischen diesen beiden Feuern kann sogar über die Befindlichkeit erkannt werden. So empfindet der Reisende (seyyar) darin eine große Schwere und ein bedrückendes Gefühl in seiner Seele, so kann sein Herz keine Erleichterung finden und sein Gemüt keine Ruhe. Dies ist als wären all seine Organe gesteinigt und zerschlagen. Der Sufi, der sich in diesem Zustand befindet, erkennt, dass das Feuer der Dunkelheit kein anderes als das des Teufels sein kann.Dem entgegengesetzt nimmt der Reisende zuweilen in seinem Befinden ein aufsteigendes, lauteres Feuer wahr. Dies bewirkt in ihm eine innere Ruhe, Schönheit und Geborgenheit in seinem Herzen. Es ist wie das Feuer von trockenem Brennholz. Derartig ist das in der Weite des Herzenhimmels befindliche Feuer des Zikrs. Das Feuer des Zikrs ist eines, das "alles verbrennt und nichts zurücklässt." (Q 74/28). In das Haus des Herzens, in das es eintretet, spricht es : "Einzig mein Sein, und sonst wird nichts anderes sein." Dies ist die Bedeutung des "lâ ilâhe illallâh". (Es gibt keine Gottheit ausßer Gott). Wenn im Haus Brennholz ist, verbrennt es dies. Falls im Haus Dunkelheit herrscht, entzündet der Zikr göttliches Licht. Wenn keine Dunkelheit im Hause ist, überstrahlt er dieses mit Göttlichem Licht. Solange im Haus Göttliches Licht ist, kann es hierfür keinen Gegensatz und keinen Konkurrenten geben, im Gegenteil: Das Gottesgenken (zikr), der Gottgedenkende (zakir) und der Gottgedachte (Allâh) sind Freunde. Sodenn ist "Licht über Licht" (Q 24/35).
Der Zikr ist die Wahrheit, die Wirklichkeit und das Attribut der Wirklichkeit. Die Gelüste vergehen, aber die Anrechte [der Triebseele] bleiben immerwährend. Bezüglich dieses Wortes gibt es zwischen den Anrechten keinen Widerspruch. Die Lust gehört dem Geschöpf an, ist jedoch ein Teil im Übermaß, entsteht Verschwendung und Übertreibung. Demgegenüber vernichtet das Feuer des Zikrs all die Gedanken diesbezüglich im Inneren. Die Teile von unerlaubter Kost entstehen auch durch diese Weise. Der König des Zikrs fällt ins Innere ein und vernichtet sie. Jedoch die Bestandteile von erlaubter Kost werden von niemandem ergriffen, denn sie gehören zu den Anrechten.
Die verkörperte Existenz entsteht mittels der vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft. Sie sind zusammen "die Dunkelheiten über der Dunkelheit" (Q 84/40). Du unterliegst all diesen Elementen. Doch um von ihnen getrennt zu sein, darfst du nichts von ihnen begehren. So wie die Wahrheit einzig dem Wahrhaften erstattet wird, wird der Teil dem Ganzen, aus dem er besteht, zugebracht. Demgemäß nimmt die Erde das Erdige, das Wasser das Wässrige, das Feuer das Feurige und die Luft das Luftige. Von ihnen nimmt jeder seinen Anteil, und hierdurch sind die ganzen Lasten aufgeteilt.
Unser Ordensweg ist der Weg der Chemie. Die Bedingung ist aus den Bergen die lichthaften und feinstofflichen Dinge hervorzubringen. Beim Ablegen der Lust, die mit der Erde in Resonanz ist, siehst du eine Wüste. Auf dieser Reise bewegt sich die Wüste, die du ausbreitest, unter dir. Es scheint so, dass die Sandwüste unter deinen Füßen dahinzieht. Doch in Wirklichkeit ist es so, dass nicht die Sandwüste von dannen zieht, sondern du es bist. Dies ist gleich so, wie wenn jemand mit dem Schiff fährt und vermeint, dass nicht das Schiff, sondern sich das gegenüberliegende Ufer bewegt. "Du siehst die Berge, und vermeinst, sie seien starr ohne Leben. In Wirklichkeit sind sie im Begriff, wie Wolken zu zerfließen" (Q 27/88). In diesem Augenblick empfindest du ebenfalls, als würdest du von oben nach unten hin absteigen, aber in Wirklichkeit erhebst du dich von unten nach oben, so als wärest du in einem Schacht. Oder du siehst ein Dorf, eine Gegend, ein Haus auf dich herniederkommen und unter dir verschwinden, gar so wie man am Meeresufer eine Mauer ins Wasser fallend und sinkend sieht.
Mein Freund, wisse wohl, du wirst dich niemals vor deinem großen Tod im Äußeren von diesen vier Elementen, der Luft-, Feuer-, Wasser- und Erdexistenz, befreien können. Dein Tod wird etliche Dinge hiervon vernichten. Und danach wirst du die Dinge, die du zuvor gewusst und gefühlt hast, mit den eigenen Augen wahrnehmen.Wenn du ein Meer fragst und in deinem Bemühen, dieses zu überqueren, ertrinkst, wisse, dass dies die Aufhebung der wasserhaften Lust ist. Ist das Meer rein oder wenn darin Sonnen vorhanden sind oder es in göttliches Licht oder in Feuer getaucht ist, wisse, dass dies das Meer der Erkenntnis (marifet) ist. Wenn du es regnen siehst, wisse, das ist die Gegenwart der Barmherzigkeitsquelle, und dies gleicht dem Wiederbeleben der Herzen aus dem Reich der Toten. Siehst du in deiner Schauung ein Feuer, das in dich eindringt und wieder hervorkommt, wisse, dass hiermit deine feuerhafte Lust aufgelöst ist.
Wenn du die Weite des Weltraums siehst und in dieser endlosen Weite und über einer reinen Luft am Ende deines Blickfeldes Farbschichten wie Grün, Rot, Gelb und Blau erscheinen, wisse, dass du durch die Luft zu diesen Farben gelangst. Die Farben sind eigentlich die Farben deiner Zustände. Die grüne Farbe ist das Leben des Herzens, das Rot des reinen Feuers ist das Leben der Wirkkraft. Dies ist das Zeichen der Macht (kudra) und trägt die Bedeutung der Wirkkraft. Ist jedoch diese Farbe ein trübes Rot, ist die Kraft zerrüttet in Folge der Härte und Anstrengung im Geiste des Reisenden gegen seine Triebseele und den Teufel. Blau ist die Farbe der Triebseele. Gelb bezeichnet Schwäche und Auszehrung. All dies sind Bedeutungen, die sich gemeinsam mit dem des Empfindensfähigen in der Sprache des Erlebens und Erschauung in persönlicher Weise zum Ausdruck bringen. Dieses Empfinden und die Schauung sind wahrredende Zeugen, denn mittels deines Auges erfährst du in deiner Schauung die Triebseele, und mittels der Erfahrung deiner Triebseele vermagst du sehr scharf zu sehen. Sowie du das Grün erblickst, ist in deinem Herzen eine Ruhe, in deinem Gemüt eine Heiterkeit, in deinem Innern eine Schönheit und in deiner Seele ein Genuss, und du erschaust in deinem Auge eine Helligkeit. Dies alles sind Eigenschaften des Lebens. Wir können hierbei auch mit den Zuständen der Pflanzen argumentieren und folgender Weise ausdrücken: Wenn die Pflanze grün ist, weist dies auf ihr Leben, ihre Kraft und ihr schnelles Wachstum hin, wandelt sie sich ins Gelbe, so ist aus irgend einem Grund eine Schädigung, eine Schwächung ersichtlich. Ebenso ist es mit den Gesichtern der Menschen: Werden sie rot, ist dies das Ergebnis einer der vorübergehenden Zustände von Verlegenheit, Scham, Furcht, Freude, Ärger, oder etwas, was Betroffenheit hervorruft. Wisse wohl, dass in der Mischung deiner Farbe dein Zustand in seiner Gesamtheit eine Integrität darstellt. Wenn sich deine Farben verdichten und sich abrupt zu einem anderen Farbzustand mischen, dann ist dies die Umfärbung (telvin). Ändert sich jedoch die grüne Farbe nicht und bleibt bestehen, ist dies die Gesetztheit (temkin). Grün ist die zuletzt nachfolgende, bleibende Farbe. Von dieser Farbe werden wie Blitze Strahlen und Helligkeiten geboren. Das Grün kann rein wie auch trübe sein. Wenn es rein wird, entsteht dies aus dem Obsiegen des Gotteslichtes, wenn es trübe wird, obsiegt die Dunkelheit der körperlichen Existenz und des Daseins, das hiermit dominiert.
Das Herz ist feinsinnig, es spiegelt die Dinge und die sie umgebenden Bedeutungen wider. Diese Reflexion der äußeren Form ähnelt dem eines Spiegels oder eines kristallklaren Wassers. Die Farbe eines Gegenstandes wird im Feinstofflichen dem der Form gegenüber liegend manifest. Es ist so wie die Spiegelung von Gestalten in reinem Wasser und im Spiegel. Wie das Wässrige sich der Farbe eines Gefäßes anpasst, nehmen die Berge die Farbe des Himmels an - nämlich die Farbe des Kafberges. Demgemäß ändert sich das Herz von einem Zustand zu einem anderen. Dieser Veränderlichkeit (inqilab) wegen wird das Herz "qalb" genannt. Da das Herz sich zwischen dem Geist und dem Körper befindet und wegen der Eigenart seines Wesens, das Innere und das Essentielle zu verstehen, ist seine Namensgebung davon abgeleitet. Wegen dem Licht des Herzens, das sich in der körperlichen Gestalt befindet, erhält es ebenso den Namen Herz. Es ist wie das Gotteslicht im Brunnenschacht des Propheten Josef. (Q12/10-15)