Sufizentrum Braunschweig
  Die Sieben Täler
 

 
Die Sieben Täler
Imam Al Ghazzali -

 

 

Wisset meine Brüder, dass der Gottesdienst ein Ergebnis von Wissen, der Gewinn des Lebens und das Kapital der Rechtschaffenen ist. Er ist das Ziel von Menschen mit hoher Gesinnung, solchen mit tiefer Einsicht. Er ist ihr summum bonum und ihr ewiges Paradies. „Ich bin euer Schöpfer“, sagt Gott im Qur’an, „so betet Mich an. Ihr werdet euren Lohn haben und eure Bemühungen werden vergolten.

 

 

 

Der Gottesdienst ist also etwas Wesentliches für den Menschen, doch ist er an Schwierigkeiten und Hindernisse gebunden. Stolpersteine und Fallgruben weist dieser verschlungene Pfad auf, Halsabschneider und andere üble Geister belagern ihn, wohingegen Helfer rar und Freunde selten sind. Doch gefährlich muss dieser Pfad des Gottesdienstes sein, sagt der Prophet doch: „Von Leid und Mühsal ist das Paradies umgeben, wohingegen die Hölle bequem zu erreichen ist und freies Ausleben aller Leidenschaften offen zu ihr einlädt.“ Armer Mensch – schwach ist er erschaffen und schwierig seine Verpflichtungen; die Zeiten sind hart und das Leben kurz. Doch seine Reise vom Diesseits zum Jenseits ist unvermeidlich und wer es verabsäumt die nötigen Vorkehrungen zu treffen, wird unvermeidlich untergehen. Denkt nach über den Ernst der Situation und unsere Lage. Bei Allah – unsere Lage ist tatsächlich erbärmlich –viele sind doch aufgerufen, doch wenige sind auserwählt.

 

 

 

Als ich die Schwierigkeit und Gefährlichkeit des Pfades des Gottesdienstes entdeckte, schrieb ich einige Werke, besonders „Ihya ulum ud Din“ („Wiederbelebung der Religionswissenschaft“) in welchen ich beschrieb, wie man diese Schwierigkeiten bewältigen könne, habe den Schwierigkeiten kühn ins Gesicht gesehen und den Pfad mit Erfolg beschritten. Doch bestimmte Personen, welche ihr Augenmerk auf die äußerlichen Kennzeichen meiner Arbeit richten, verstehen weder ihre Bedeutung noch Absicht und lehnen dieses Buch nicht nur ab, sondern verfahren in einer Art mit ihm, wie es sich für einen Muslim nicht ziemt. [1] Dennoch war ich deswegen nicht entmutigt, waren diese Personen doch solche, welche den Qur’an als „Geschichten der Alten“ verunglimpften. Auch war nicht ich gekränkt, ich hatte doch Mitleid mit ihnen, da sie nicht wussten, was sie sich selbst angetan hatten. Ich hasse das aktuelle Streitgespräch, habe aber dennoch die Pflicht, etwas für sie tun. So bete ich aus Mitleid für meine Brüder zu Gott, mich zum Thema auf neue Art und weise zu erleuchten.

 

 

 

So wisset denn, dass das erste Mittel, um den Menschen aus seiner Lethargie zu wecken, ihn wieder auf den Weg zu setzen, die Barmherzigkeit Gottes ist, welche veranlasst über folgendes nachzudenken:

 

 

 

Ich bin Empfänger von so vielen Gaben – Leben, Kraft, Verstand, Sprache – und ich finde mich auf geheimnisvolle Weise vor so vielem Übel und Unglück beschützt.

 

Wer ist mein Wohltäter?

 

Wer ist mein Beschützer?

 

Ich muss ihm geziemend dankbar sein, sonst werden diese Gaben von mir genommen und ich habe dann bestimmt etwas verabsäumt. Diese Gaben offenbaren ihren Zweck, gerade so wie Werkzeuge in Händen des Handwerkers – und die Welt erscheint mir wie ein wunderschönes Bild, welches mich an den Künstler denken lässt.

 

 

 

Tal des Wissens

 

 

 

Dieses Selbstgespräch führt ihn in das Tal des Wissens, in welchem das stillschweigende Vertrauen in den göttlichen Gesandten die Richtung weist und ihn führt:

 

 

 

Der Wohltäter ist jenes Einzigartige Wesen, welches kein Gleiches neben Sich hat. Er ist dein Schöpfer - und obgleich Er mit dem Auge nicht erfasst wird, ist Er doch Allgegenwärtig - dessen Vorschreibungen erfüllt werden müssen – im Außen wie im Innen. Er hat bestimmt, dass das Gute belohnt und das Böse bestraft wird. Die Wahl liegt nun an dir, denn du wirst für deine Handlungen verantwortlich gemacht. Erwirb dein Wissen unter den frommen, gottesfürchtigen Ulema mit einer Überzeugung, welche kein Schwanken kennt.

 

 

 

Wenn das Tal des Wissens durchquert ist, bereitet sich der Mensch für den Gottesdienst vor, allerdings wir ihm sein Schuldbewusstsein vorwerfen: „Kannst du an der Tür des Allerheiligsten anklopfen? Weg mit dir und deinen schmutzigen Abscheulichkeiten!“

 

 

 

Tal der Reue

 

 

 

So fällt der arme Sünder nieder im Tal der Reue und wenn eine Stimme ertönt: „Bereue, bereue! Denn dein Herr ist Allvergebend“, da schöpft er neue Kraft und erhebt sich mit freudigem Herzen und eilt weiter.

 

 

 

Tal der Hindernisse

 

 

 

Nun erreicht er ein Tal, voll mit Stolpersteinen von hauptsächlich viererlei Art.

 

 

 

Die Welt der Versuchung;

 

die, der Aufsehen erregenden Menschen; 

 

die, des alten Feind Satans und

 

die, des zügellosen Selbst.

 

 

 

Lass ihn nun auf vier Gegenkräfte zurückgreifen, um diese Hindernisse zu überwinden.

 

 

 

Versuche ein zurückgezogenes Leben zu wählen,

 

vermeide die vermischende Zusammenkunft mit Menschen der verschiedensten Art,

 

wirf den alten Feind hinaus und

 

beherrsche dich mit dem Zügel der Frömmigkeit.

 

 

 

Behalte in Erinnerung, dass diese vier Gegenkräfte mit vier weiteren psychologischen Schwierigkeiten fertig zu werden haben.

 

 

 

Sorge bezüglich des täglichen Broterwerbs aufgrund des zurückgezogenen Lebens;

 

Zweifel und Befürchtungen in Bezug auf die Privatsphäre, welche die Zufriedenheit stören; Sorgen, Schwierigkeiten und Demütigungen wegen sozialer Verpflichtungen. Denn wenn ein Mensch Gott zu dienen wünscht, greift ihn Satan offen und im Geheimen von allen Seiten an; unangenehme Vorkommnisse und unerwartete Schwierigkeiten als Ergebnis der Aufarbeitung seines Schicksals.

 

 

 

Tal der Trübsal

 

 

 

Diese psychologischen Schwierigkeiten werfen den armen Diener in das Tal der Trübsal. In dieser Plage nehme der Mensch Zuflucht bei:

 

 

 

1. Gottvertrauen in Angelegenheiten seines Lebensunterhaltes.

 

2. Der Anrufung Gottes um Hilfe, wenn er sich hilflos fühlt.

 

3. Geduld im Leiden.

 

4. Freudige Ergebung in Seinen Willen.

 

 

 

Tal der Unwetter

 

 

 

Während er dieses fürchterliche Tal der Trübsal durchschreitet glaubt er, diese Reise wäre höchst schwierig. Doch zu seiner Überraschung findet er den Gottesdienst uninteressant, die Gebete erfolgen mechanisch und die Versenkung birgt kein Vergnügen. Er ist träge, melancholisch und blöde.

 

Verwirrt betritt er nun das Tal der Unwetter. Die hellen Blitze der Hoffnung blenden seine Sicht und zitternd fällt er nieder, wenn er den ohrenbetäubenden Donner der Angst vernimmt. Seine tränenden Augen gleichen den Wolken und seine klaren Gedanken leuchten mit den Blitzen. In einem einzigen Augenblick wird nun das Geheimnis menschlicher Verantwortung, mit seiner Belohnung für gute und der Bestrafung für schlechte Taten, enthüllt. Von diesem Augenblick an wird sein Gottesdienst kein Lippenbekenntnis, seine täglichen Verpflichtungen keine Schufterei mehr sein. Erhaben und beschwingt wird er nun mit den Flügeln der Hoffnung und Furcht umzugehen wissen.

 

 

 

Tal der Bodenlosigkeit

 

 

 

Mit leichtem Herzen, in guter Stimmung schreitet er nun voran – und plötzlich eröffnet das schaurige Tal der Bodenlosigkeit sich seinem Blick. Nach einem tiefen Blick in die Natur seiner Taten erkennt er, dass seine guten Taten entweder vollbracht wurden, weil er die Anerkennung seiner Mitmenschen erringen wollte oder das Ergebnis reiner Ruhmsucht waren. Auf der einen Seite erblickt er das hydraköpfige Ungeheuer [2] der Heuchelei und auf der anderen die bezaubernde Pandora [3] des Eigendünkels mit ihrer weit geöffneter Büchse. In Verzweiflung wird  er inne halten, nicht wissend wie weiter - doch siehe – der Engel der Aufrichtigkeit wird aus den Tiefen seines Herzens aufsteigen, ihn bei der Hand nehmen und ihn aus diesem Tal herausführen. In Dankbarkeit für die göttliche Gnade wird er weiter schreiten und der Gedanke an die vielfältigen Gnaden an sein unwürdiges Selbst und an seine Unfähigkeit, diesen Geschenken in seiner Danksagung jemals gerecht werden zu können, überwältigen ihn schließlich.

 

 

 

Tal der Lobpreisung

 

 

 

Jetzt angelangt im Tal der Lobpreisung, sterblich wie er nun mal ist, singt er so gut er nur vermag sein Loblied an das Ewige Wesen. Die unsichtbare Hand göttlicher Barmherzigkeit öffnet dann den Garten der Liebe für ihn, in welchen er eingelassen wird mit Körper und Seele, denn beide hatten direkt und indirekt ihre Rolle (bei dieser Reise) zu spielen gehabt und hier endet seine Reise. Der Gottesdiener lebt nun unter Seinesgleichen wie ein Reisender, doch sein Herz lebt in Ihm, darauf wartend die letzte Vorschreibung zu erfüllen:

 

 

 

O du ruhige Seele! Kehre zurück zu deinem Herrn wohlzufrieden und mit (Allahs) Wohlwollen. So schließ' dich dem Kreis Meiner Diener an. Und tritt ein in Mein Paradies. [89:27-30]

 

 




[1] Zu Lebzeiten von Imam Al Ghazzali wurde dieses Buch von Gelehrten öffentlich auf Marktplätzen Spaniens, dem Land der Inquisition verbrannt.

[2] Die altgriechische vielköpfige Wasserschlange, deren Köpfe sofort nachwuchsen, wenn man sie abschlug.

[3] Eine wunderschöne Frau aus der griechischen Mythologie, welcher Jupiter eine Büchse schenkte, welche alle Übel der Welt enthielt, die sich, wenn die Büchse öffnete sich über die ganze Welt ausbreiteten.

aus:
"SOME MORAL and RELIGIOUS TEACHINGS of AL - GHAZZALI"

 

by SYED NAWAB ALI
Published by:
SH. MUHAMMAD ASHRAF, Pakistan

 

Übersetzer: Muhammad M. HANEL

 
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