Aufgaben (wazâ’if)
Sheikh Abdullah ad-Daghistani
Es gibt keine Kraft und keine Macht außer bei Allâh, dem Erhabenen, dem Allmächtigen.
Wir werden den Grundstein zu diesem Vorhaben legen, indem wir die erhabene Basmala und die Formel, welche die Abwesenheit von Kraft und Stärke, die nicht von Allâh kommt, bestätigt, benutzen. Allâh, der allmächtig und erhaben ist, lehrte den Propheten Muhammad, Allâh segne ihn und gebe ihm Heil,rechte Lebensart, weshalb der heilige Prophet sagte: „Mein Herr lehrte mich die rechte Lebensart und vollendete Seine Lehre.“
Und so müssen wir beharrlich das Adab des Ordens befolgen, bis wir Wissen von der Frucht von Sharî’a und Tarîqa erhalten.
Zuallererst müssen wir wiederholen, daß wir nicht außerhalb des Ordens gefehlt haben, und uns beeilen, ihm beizutreten. Wenn wir dies beschlossen haben,können wir mit den Wazâ’if beginnen.
Der Anfänger muß immer mit dem Anfang beginnen, und er sollte den Unterschied zwischen Sharî‘a und Tarîqa kennen. Die Sharî‘a zu kennen bedeutet, eine Wirklichkeit zu kennen, welche für jeden gläubigen Mann und jede gläubige Frau verpflichtend ist. Genaugenommen heißt Sharî‘a, alles das zu tun, was Allâh, derallmächtig und erhaben ist, befohlen hat, und alles das, was Er verboten hat, zu unterlassen. Wer immer sich an diese beiden Dinge hält, wird Allâh, der allmächtig und erhaben ist, zum Lehrer haben. Das ist Sharî‘a. Nun ist Tarîqa die feste Absicht (‘azîma), die Sharî’a zu befolgen; das heißt, daß der Murîd sein Vertrauen in den setzt, welcher sein Scheich und Führer ist, und so verfährt, wie es ihm von ihm angezeigt wird. Der Murîd darf seinem Scheich keine Fragen bezüglich dessen stellen, was er ihn zu tun heißt. Die zweite Beschreibung von Tarîqa ist, daß der Murîd bereit sein muß, Befehle vom Scheich anzunehmen. Ebenso wie der Prophet auf das Kommen einer göttlichen Inspiration (wahy) von Allâh, der allmächtig und erhaben ist, zu warten pflegte, muß auch der Murîd den Befehlen seines Murshids folgen und sie auf das genaueste ausführen.) Und er muß das Adab der Voraussicht haben, das heißt, sozusagen ständig auf die Befehle seines Führers warten. Er muß gewissermaßen wie ein Jäger sein, der nur auf seine Beute sieht und alle anderen Blickrichtungen mißachtet. Seine Augen und Ohren, sein Dasein und seine Gedanken sollten stets bereit sein, Befehle zu empfangen; er sollte immer bereit sein, einen Befehl auszuführen. Ein solcher Mensch wird Meister des Adab des erhabenen Naqshbandî-Ordens sein; und diese Tajallîs werden sich ihm offenbaren. Hazrat Scheich sagt: „Ich spreche nicht zu euch über irgendeine Stufe (maqâm), Tajallî oder Rang (rutba), ohne selbst diese Stufe erreicht oder dieses Tajallî erfahren zu haben. Ich bin nicht wie die anderen; ich lese nicht die Stufen (maqamât), die ich euch aufzähle, von meiner Tabelle ab, ohne selbst ihre Wirklichkeit (Haqîqa) zu kennen. Nein! Zuerst folgte ich jenem Pfad und sah, was es war. Ich erfuhr jene Wirklichkeiten und Geheimnisse, die man auf ihm finden kann, und arbeitete mich vor, bis27 ich das Wissen der Gewißheit (‘ilmu l-yaqîn), das Auge der Gewißheit (‘ainu yaqîn) und die Wahrheit der Gewissheit (Haqqu l-yaqîn) erlangte. Erst dann spreche ich zu euch darüber und gebe euch sozusagen eine Kostprobe von dem, was ich gekostet habe, bis ich imstande bin, euch dahin zu bringen, jene Stufe zu erreichen, ohne dass ihr ermüdet oder in Schwierigkeiten geratet.“ Unser Meister Abû Bakr as-Siddîq, möge Allâh mit ihm zufrieden sein, fragte die Blüte aller existierenden Wesen, unseren Meister Muhammad, Allâh segne ihn und gebe ihm Heil, nach der Bedeutung des Ausdrucks „ajalul-karâmât“ (die festgesetzte Zeit für Wunder), und er antwortete: „Solange der Erfolg dauert“ (dawâmu t-taufîq). Und was ist die Bedeutung von dawâmu t-taufîq? Dies bedeutet, daß der Murîd seine Wa|îfa ausführt und den Befehlen des Murshids folgt, ohne den Blick nach rechts oder links zu wenden.
Sich in die Lüfte zu erheben, auf dem Wasser zu gehen, unverletzt durch Feuer zu schreiten oder die Geheimnisse der Herzen der Menschen zu kennen, sind keine lobenswerten Gaben, da auch Satan darüber verfügt.
Bei den Menschen der Wirklichkeit werden solche Wundertaten nicht zu den erstrebenswerten Dingen gezählt, und unsere Naqshbandî-Brüder vergleichen diese Wunder mit der Menstruation der Frauen und sagen:
„Die Wunder der Waliyys sind die Menstruationen der Männer.“
Die Meister unseres Naqshbandî-Ordens führen ihre Wunder nicht öffentlich auf, selbst wenn man ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abziehen oder sie zu Tode foltern würde. Unser Scheich, Maulânâ ‘Abdullâh al-Fâ’iz, möge Allâh sein Geheimnis heiligen, sprach: „Meine Zunge ist die Zunge des Geheimnisses der Sharî‘a und des Geheimnisses des Qur’ân.“ Dann stellte er eine Frage: „Wer sind die Träger und Bewahrer des Qur’ân (d. h. Huffâz)? Die Träger und Bewahrer des Qur’ân sind jene, die auf diesen Stufen Fuß fassen und sie durch wirklichesVerstehen kennen. Und ist es nicht richtig, meine Kinder, daß ich euch rate, diesem Weg zu folgen, damit ihr diese Stufe erreichen und entdecken könnt?“
Und jetzt werde ich euch das Adab des Awrâd zeigen, und durch diese Awrâd werdet ihr die Erkenntnis jener Stufen erreichen, das werdet ihr erlangen, wenn ihr diese Awrâd einhaltet. Es gibt zwei Arten: eine für die Menschen der Entschlossenheit (ahlu l-azâ’im) und eine zweite für jene, welche nicht imstande sind, die erste Art auszuüben.