Dawud al-Ta’i
Abu Sulaiman Dawud ibn Nusair al-Ta’i von Kufa war ein Mann nobler Herkunft und Schüler von Abu Hanifa; zum asketischen Leben wurde er durch Habib al-Ra’i gebracht, worauf er all seine Bücher im Euphrat versenkte. Er starb zwischen 160 (777) und 165 (782).
Die Armut des Dawud ibn Nusair al-Ta’i
Von Beginn an war Dawud von innerem Kummer überwältigt und mied den Kontakt mit seinen Mitgeschöpfen. Der Anlass für seine Bekehrung (Rückbesinnung) war, dass er eine trauernde Frau folgende Verse rezitieren gehört hatte.
Welche deiner Wangen fiel zuerst vor Kummer ein?
Aus welchem deiner Augen drang zuerst die Träne rein?
Großer Kummer überkam darauf sein Herz und all seine Gelassenheit verließ ihn. In diesem Zustand nahm er den Unterricht bei seinem Lehrer Abu Hanifa auf.
„Was ist dir geschehen?“ fragte Abu Hanifa.
Dawud berichtete ihm von oben erwähntem Vorfall.
„Die Welt hat alle Anziehungskraft auf mich verloren“, fügte er hinzu. „Irgendetwas ist in mir passiert, was ich weder verstehen kann, noch kann ich irgendeine Erklärung dafür in irgendeinem Buch oder Verlautbarung entdecken.“
„Ziehe dich von anderen Menschen zurück“, verlangte Abu Hanifa.
Dawud gehorchte, zog sich zurück und schloss sich in seinem Haus ein. Nach längerer Zeit suchte ihn Abu Hanifa auf, um nach ihm zu sehen.
„Das ist keine Lösung für dich, in deinem Haus eingeschlossen zu bleiben und kein Wort mehr zu reden. Das richtige für dich ist, zu den Füßen der Imame zu sitzen und ihnen zuzuhören, wie sie neue Ideen entwickeln. Du sollst dich dem, was sie zu sagen haben mit Geduld zuwenden und nichts dazu sagen. Dann wirst du größere Einsicht in die Problematik gewinnen als sie selbst.“
Den Sinn hinter der Anweisung Abu Hanifas erkennend, nahm Dawud seine Studien auf und saß ein Jahr lang zu den Füßen der Imame und hörte ihren Ausführungen geduldig zu, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
„Dieses eine Jahr Geduld“, merkte er am Ende dieser Periode an, „ist gleichzusetzen mit dreißig Jahren angestrengter Arbeit.“
Dann traf er auf Habib ibn Ra’i, der ihn in den mystischen Pfad einweihte, den er aufrecht beschritt. Er warf seine Bücher in den Fluss, zog sich in Klausur zurück und gab es auf, irgendetwas von den Menschen zu erwarten.
Nun hatte er zwanzig Dinare geerbt. Diese brauchte er in zwanzig Jahren auf. Einige Scheichs tadelten ihn dafür.
„Der Weg steht dafür, anderen zu geben und nicht für sich selbst zu behalten.“
„Ich behalte diesen Betrag, um meinen Geistesfrieden aufrecht zu erhalten“, erklärte er, „und ich werde damit auskommen, bis ich sterbe.“
Er erspart sich keinerlei Entbehrung. Dies ging so weit, dass er ein sein Brot in Wasser tauchte und dann das Wasser daraus aufsog und meinte, „Zwischen dem und dem Essen des Brotes kann ich fünfzig Qur’anverse rezitieren. Warum sollte ich mein Leben vergeuden?“
Abu Bakr ibn Aiyash berichtet, „Ich begab mich in Dawuds Klause und traf ihn dort weinend, mit einem Stück trockenen Brot in der Hand. „Was ist passiert, Dawud?“ fragte ich ihn. „Ich will dieses Stück Brot essen und weiß nicht ob es geweiht oder ungeweiht ist“, war seine Antwort.
Ein anderer berichtet, „Als ich ihn besuchte, sah ich seinen Eimer Wasser in der Sonne stehen. Ich fragte, „Warum stellst du ihn nicht in den Schatten?“ „Als ich ihn dort hinstellte, war er im Schatten“, gab er zur Antwort. „Nun schäme ich mich vor Gott, mich einzumischen.“
Geschichten über Dawud al-Ta’i
Es wird erzählt, dass Dawud ein großes Haus bewohnte mit vielen Zimmern. Er bewohnte einen Raum bis er zusammenfiel und dann bezog er einen anderen.
„Warum renovierst du deine Zimmer nicht?“ wurde er gefragt.
„Ich habe Gott ein Versprechen gegeben, diese Welt nicht zu verbessern“, war seine Erklärung.
Nach und nach fiel das ganze Haus zusammen. Nichts blieb ganz bis auf den Eingansflur. An dem Tag an welchem Dawud starb, brach auch dieser zusammen.
„Das Dach dieses Raumes löchrig“ bemerkte ein anderer Besucher, „es wird bald einstürzen.“
„Ich habe zwanzig Jahre nicht zum Dach gesehen“, antwortete Dawud.
„Warum heiratest du nicht?“ wurde Dawud gefragt.
„Ich will eine gläubige Frau nicht betrügen“, sagte er.
„Wie käme dieses?“
„Wenn ich eine Frau zu mir nähme“, erklärte er, „bedeutete dies, dass ich mich um ihre Angelegenheiten kümmern muss. Da ich mich aber nicht um meine religiösen und weltlichen Pflichten gleichzeitig kümmern kann, bedeutet dies, dass ich sie betrügen würde.“
„Na gut“, sagten sie, „dann kämme dir aber zumindest den Bart.“
„Das bedeutete Muße zu haben, um dies zu tun“, gab er zurück.
In einer mondhellen Nacht stieg Dawud auf sein Dach und betrachtet die Sterne. Er war ganz ergriffen ob der Pracht des göttlichen Königreiches und begann zu weinen, bis er ganz außer sich war. So fiel er auf das Dach des Nachbarn. Der dachte ein Dieb wäre bei ihm eingestiegen und kam mit einem Schwert in der Hand aufs Dach gestürmt. Dort entdeckte er Dawud und nahm ihn bei der Hand.
„Wer hat dich da herunter gestoßen?“ fragte er.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Dawud, „ich war ganz außer mir und kann mich an nichts erinnern.“
Eines Tages sah man Dawud zum Gebet eilen.
„Warum so eilig?“ wurde er gefragt.
„Die Armee vor den Toren der Stadt“, rief er zurück, „sie wartet auf mich.“
„Welche Armee?“, gaben sie zurück.
„Die Menschen aus den Gräbern“, war seine Antwort.
Harun al Rashid bat Abu Yusuf ihn zu Dawud zu bringen. Abu Yusuf begab sich zu Dawuds Haus, aber der Eintritt wurde ihm nicht gestattet. So bat er Dawuds Mutter Fürsprache einzulegen.
„Lass ihn eintreten“, bat seine Mutter.
„Was habe ich zu tun mit Leuten dieser Welt und Übeltätern?“ verweigerte Dawud seine Zustimmung.
„Ich bitte dich bei dem Recht meiner Milch, lass ihn eintreten“, sagte seine Mutter.
„O Gott“, sagte Dawud, „Du hast gesagt, „Hüte das Recht deiner Mutter, denn Meine Zufriedenheit liegt in ihrer Zufriedenheit.“ Sonst hätte ich mit ihnen nichts zu tun“, und sodann ließ er sie ein. Die beiden traten ein und nahmen Platz. Dawud begann zu predigen und Harun begann haltlos zu weinen. Als sie aufbrachen, ließ er etwas Gold zurück.
„Dies ist rechtmäßig erworben “, sagte er.
„Nimm es weg“, sagte Dawud. „Ich habe keine Verwendung dafür. Ich habe ein Haus verkauft, welches mein rechtmäßiges Eigentum war und lebe von diesem Erlös. Ich habe Gott gebeten meine Seele zurück zu nehmen, wenn dieses Geld aufgebraucht sein wird, damit ich von keiner Seele abhängig zu sein brauche. Ich bin zuversichtlich, dass Gott mein Gebet erhört hat.“
Harun und Abu Yusuf begaben sich zurück zum Palast. Abu Yusuf suchte Dawuds Vermögensverwalter auf und fragte ihn, wie viel von Dawuds Geld noch übrig wäre.
„Zwei Dirhams“ antworte dieser auf Abu Yusufs Frage, „jeden Tag gibt er einen Silbergroschen aus.“
Abu Yusuf rechnete nach. Und eines Tages verkündete er mit dem Rücken zur Gebetsnische. „Heute ist Dawud gestorben.“ Man forschte nach und fand heraus, dass es wirklich so war.
„Wie hast du dies wissen können?“ fragten sie.
„Ich habe seine Ausgaben nachgerechnet und heute war sein Vermögen aufgebraucht,“ erklärte Abu Yusuf, „und ich wusste, dass seine Gebete erhört würden.“
Geschichten aus dem
Tadhkirat al-Auliya’
(Erinnerung an die Heiligen)
von Farid ud-Din ATTAR
Übersetzt von M.M. Hanel