Shah ibn Shuja‘
Von Abu ‘l-Fawares Shah ibn Shuja‘ al-Kirmani, wird gesagt, dass er Spross einer adeligen Familie war und der Autor einiger Schriften über das Sufitum, die uns allerdings nicht mehr erhalten sind. Er starb um 270 (884).
Shah-ibn Shuja‘-ibn Kirmani und seine Kinder
Shah-ibn Shuja‘-ibn Kirmani hatte einen Sohn. Auf seiner Brust war in grüner Farbe das Wort Allah geschrieben. So im üblichen Lauf der Zeit geschah es, dass sich der junge Knabe herumtrieb und sich mit der Laute vergnügte. Er hatte eine schöne Stimme und er pflegte, während er so in der Gegend herumstromerte, die Menschen mit seinen Liedern zu Tränen zu rühren.
Eines Nachts, stockbetrunken, wankte er die Strassen entlang und sang seine Lieder. Als er in ein bestimmtes Viertel kam, geschah es, dass eine frisch vermählte Braut sich von ihres Gatten Seite erhob, um ihm nach zu sehen. Ihr Gatte erwachte darauf, vermisste seine Frau und erblickte dieses Spektakel.
„Junge“, rief er ihm zu, „ist nicht die Zeit zur Reue gekommen?“
Diese Worte trafen den Jungen mitten ins Herz.
„Sie ist gekommen, sie ist gekommen“, rief er zurück.
Er zerriss sein Gewand, zerbrach seine Laute und sperrte sich in sein Zimmer ein und verweigerte vierzig Tage lang das Essen. Dann kam er heraus und begab sich auf seinen Weg.
„Was mir erst nach vierzig Jahren gewährt wurde, wurde ihm nach nur vierzig Tagen verliehen,“ merkte Shah-ibn Shuja‘ dazu an.
Shah-ibn Shuja‘ hatte auch eine Tochter. Die Könige von Kirmani baten um ihre Hand zur Hochzeit. Er erbat drei Tage Bedenkzeit und in diesen drei Tagen begab er sich von einer Moschee zur anderen, bis er einen Derwisch in inbrünstigem Gebet erblickte. Shah-ibn Shuja‘ wartete geduldig, bis dieser sein Gebet beendet hatte und sprach ihn danach an.
„Derwisch, hast du Familie?“
„Nein“, antwortete der Derwisch.
„Möchtest du eine Frau, die den Qur’an rezitieren kann?“
“Wen gäbe es, der mir so ein Frau geben wollte?” sagte der Derwisch. „Alles was ich besitze, sind drei Dirham.“
„Ich werde dir meine Tochter geben“, sagte Shah-ibn Shuja‘.
„Von diesen drei Dirham wirst du einen für Brot und einen für einen Strauss Rosen ausgeben und dann den Hochzeitsbund schließen.“
Mit dieser Vereinbarung verblieben sie. Noch in der gleichen Nacht brachte Shah-ibn Shuja‘ seine Tochter zu des Derwischs Haus. Als sie eintraten, sah das Mädchen einiges trockene Brot neben einem Krug Wasser.
„Was hat es mit diesem Brot auf sich?“ wollte sie wissen.
„Es ist von gestern übrig geblieben. Ich habe es für heute Nacht aufbehalten“, klärte sie der Derwisch auf.
„Ich wusste“, seufzte der Derwisch, „dass die Tochter des Shah-ibn Shuja‘ wegen meiner Armut nicht mit mir leben konnte.“
„Mein Herr, es nicht wegen ihrer Armut, dass ich sie verlasse“, antwortete das Mädchen. „Ich verlasse sie aufgrund ihres Mangels an Glauben und Vertrauen, da sie das Brot gestern zur Seite getan haben und nicht darauf vertraut haben, dass Gott für ihr Auslangen Sorgen tragen werde. Aber auch bin ich über meinen Vater erstaunt. Zwanzig Jahre hat er mich im Haus behalten und immer gesagt „Ich werde dich einem gottesfürchtigen Mann zur Frau geben“.
Nun hat er mich einem Kerl gegeben, der sich nicht einmal um sein tägliches Brot auf Gott verlässt.“
„Gibt es eine Möglichkeit der Aussöhnung für diese Sünde?“ fragte der Derwisch.
„Ja“, sagte das Mädchen. „Die Aussöhnung liegt darin, dass nur eines von zweien im Hause verbleibt – ich oder das trockene Brot.“
Geschichten aus dem
Tadhkirat al-Auliya’
(Erinnerung an die Heiligen)
von Farid ud-Din ATTAR
Übersetzt von M.M. Hanel