Yahya ibn Mu‘adh
Abu Zakariya’ Yahya ibn Mu‘adh al-Razi, ein Schüler des Ibn Karram, verließ seine Heimatstadt Rayy und lebte eine zeitlang in Balkh und ließ sich dann in Nishapur nieder, wo er 258 (871) starb.
Eine Anzahl Gedichte werden ihm zugeschrieben.
Yahya ibn Mu‘adh al-Razi und seine Schulden
Yhaya ibn Mu’adh hatte Schulden in der Höhe von einhunderttausend Dirham angehäuft. Er hatte all dieses Geld ausgeborgt und es für Geschenke an Krieger ausgegeben, die auf dem Wege Gottes kämpften, für Pilger, Arme und Bedürftige, Gelehrte und Sufis. Seine Gläubiger drängten ihn zur Rückzahlung und sein Herz war schwer darum.
Eines Nachts träumte er, der Prophet habe zu ihm gesprochen.
„Yhaya, sei nicht zu besorgt, denn deine Besorgnis schmerzt mich. Steh auf und geh nach Khorasan. Dort hat eine Frau dreihunderttausend Dirham auf die Seite gelegt, um deine hunderttausend zu bezahlen, die du ausgeborgt hast.“
„Gesandter Gottes“, rief Yahya, „wie heißt die Stadt und wer ist diese Person?“
„Geh von Stadt zu Stadt und predige“, sagte der Prophet, „deine Worte bringen Heil der Menschen Herzen. So wie ich zu dir im Traum gekommen bin, will ich nun diese Person im Traum aufsuchen.“
So kam Yahya nach Nishapur. Die Leute richteten eine Kanzel vor der Moschee auf.
„Männer von Nishapur“, rief er, „ich bin hierher auf Befehl des Propheten, der Friede und Segen Gottes sei mit ihm, gekommen. Der Prophet hat verkündet „einer wird deine Schuld abtragen, die du schuldest.“ Ich habe eine Schuld von einhunderttausend Silber Dirham. Wisset, dass meine Worte Schönheit besaßen, doch nun ist diese Schuld ein Schleier dieser Schönheit geworden.“
„Ich spende fünfzigtausend“, bot einer der Männer an.
„Ich gebe vierzigtausend“, ein anderer.
Yahya lehnte ihre Angebote ab.
„Der Meister hat mir eine einzige Person angekündigt“, sagte er.
Er begann zu predigen. Am ersten Tag trug man sieben Verstorbene aus seiner Versammlung. Als er sah, dass seine Schulden nicht in Nishapur getilgt würden, brach er nach Balkh auf. Hier hielt er sich einige Zeit mit predigen auf. Er setzte dabei den Reichtum über die Armut. Die Leute übergaben ihm einhunderttausend Dirham. Doch einem bestimmten, dort ansässigen Scheich gefielen Yahyas Worte nicht, welche den Reichtum mehr als die Armut priesen.
„Möge Gott ihm den Segen verweigern“, rief er aus.
Als Yahya Balkh verließ, geriet er unter Räuber, die ihm alles Geld fortnahmen.
„Das ist das Ergebnis des Gebetes dieses Scheichs“, sagten sie. So wanderte er nach Herat weiter, einige sagen, er ging nach Merv. Dort erzählte er von seinem Traum. Die Tochter des Prinzen von Herat war unter seinen Zuhörern. Sie sandte ihm eine Botschaft.
„Imam, höre auf dich wegen deiner Schulden zu betrüben. In dieser Nacht, als der Prophet zu dir im Träume sprach, sprach er auch mit mir. Ich sagte, „Gesandter Gottes, ich werde zu ihm gehen.“ „Nein“, antwortete der Prophet, „er wird zu dir kommen.“ Daher habe ich hier auf dich gewartet. Als mein Vater mich verheiratete, gab er mir jene Dinge, die andere in Kupfer und Zinn erhalten, in Gold und Silber. Mein Silber ist dreihunderttausend Dirham wert. Ich schenke es dir. Doch eine Bedingung habe ich, nämlich, dass du noch vier weitere Tage predigst.“
So blieb Yahya noch weitere vier Tage. Am ersten trugen sie zehn Tote fort, am zweiten fünfundzwanzig, am dritten vierzig und am vierten siebzig. Am fünften Tag verließ Yahya Herat mit sieben Kamelladungen Silber. Als er in Balham ankam, murrte sein Sohn.
„Wenn er in die Stadt kommt, muss er nicht gleich das ganze Vermögen an die Gläubiger und die Armen verteilen und nichts für mich übrig lassen.“
Am Abend hielt Yahya Einkehr mit Gott, seinen Kopf zu Boden gebeugt. Da fiel ihm ein Stein auf den Kopf.
„Gebt das Geld den Gläubigern“, rief er noch und dann verstarb er.
Seine Begleiter nahmen ihn auf ihrer Schultern und trugen ihn nach Nishapur, wo sie ihn ins Grab legten.
Yahya-ibn Mu‘adh-ibn Razi und sein Bruder
Yahya ibn Mu‘adh hatte einen Bruder, der nach Mekka gegangen war und sich in der Nähe der Kaaba niedergelassen hatte. Von dort schrieb er einen Brief an Yahya.
„Ich wünschte mir drei Dinge. Zwei haben sich erfüllt und eines blieb übrig. Bete zu Gott, dass er mir diese Bitte auch aus Seiner Gnade heraus erfüllen möge. Ich wünschte, dass ich meine letzten Tage am vornehmsten Ort dieser Welt verbringen möge. Nun, ich bin zu diesem geheiligten Orte gekommen, welcher doch der vornehmste Ort dieser Welt ist. Mein zweiter Wunsch war, dass ich einen Diener hätte, der mein Wasser für die rituelle Reinigung für mich bereithalten würde. Gott hat mir ein züchtiges Mädchen als Dienerin geschickt. Mein dritter Wunsch ist, dass ich dich noch einmal sehen könnte, bevor ich sterbe. Bete zu Gott, dass er mir diesen Wunsch erfüllen möge.“
Yahya antworte seinem Bruder folgendes.
„Was deinen Wunsch betrifft, am vornehmsten Ort dieser Welt zu wohnen. Mache dich selbst zum besten Mensch dieser Welt und wohne wo immer du willst. Ein Ort ist vornehm aufgrund der Menschen die ihn bewohnen und nicht umgekehrt. Was deinen Wunsch betrifft, über einen Diener zu gebieten; wärst du wirklich ein wahrhaftiger und ritterlicher Mensch, hättest du niemals eine Dienerin Gottes zu deinem Diener gemacht und sie von ihrem Dienst an Gott abgehalten und sie an dich gebunden. Du selbst solltest ein Diener sein. Du wünschtest, ein Herr zu sein, doch die Herrschaft ist ein Attribut Gottes. Dienerschaft ist eine Eigenschaft des Menschen. Ein Diener Gottes muss ein Diener sein. Wenn der Diener Gottes einen Rang wünscht, welcher Gott zukommt, macht er sich zu einem Pharao. Und was deinen letzten Wunsch betrifft, mich zu sehen, so würdest du dich nicht mehr an mich erinnern, wäre dein Denken an Gott ein aufrichtiges. Dein Gedenken an Gott erfüllte dich zur Gänze und Platz wäre mehr, an deinen Bruder zu denken. Solcherart muss man bereit sein, seinen eigenen Sohn hinzugeben, und erst recht seinen Bruder! Wenn du Ihn gefunden hast, was bin ich dir noch? Und wenn du Ihn nicht gefunden hast, welchen Nutzen hättest du von mir?“
Geschichten aus dem
Tadhkirat al-Auliya’
(Erinnerung an die Heiligen)
von Farid ud-Din ATTAR
Übersetzt von M.M. Hanel