Shaqiq von Balkh
Abu ‘Ali Shaqiq ibn Ibrahim al-Azdi von Balkh, ein auf vielen Gebieten gelehrter Mann, begann seine Laufbahn als Kaufmann, um später den Pfad der Enthaltsamkeit zu beschreiten. Er verrichtete die Pilgerfahrt nach Mekka und starb als Märtyrer in den Kriegen um 194 (810).
Die Laufbahn des Shaqiq-e Balkhi
SB war ein Gelehrter vieler wissenschaftlicher Zweige und der Verfasser vieler Bücher. Er unterrichtete Hatim den Tauben, und gleichzeitig wurde er von Ibrahim ibn Adham auf den Weg geführt. Er behauptete von 1700 Lehrern unterrichtet worden zu sein und einige Kamelladungen Bücher erworben zu haben. Seine Konversion trug sich folgendermaßen zu.
Shaqiq war auf Geschäftsreise in Turkistan unterwegs und unterbrach seine Reise bei einem Tempel, um einen Götzenanbeter bei seiner demütigen Statuenanbetung zu beobachten.
„Du hast doch einen lebendigen, allmächtigen und allwissenden Schöpfer“, erklärte er diesem Mann. „Diesen solltest du anbeten. Hab doch etwas Einsicht und stehe ab davon, einen Götzen anzubeten, von dem weder Gutes noch Schlechtes zu bekommen ist.“
„Wenn dem wirklich so ist, wie du sagst“, antwortete der Götzendiener, „ist Er dann nicht in der Lage, dich in deiner eigenen Stadt mit dem täglichen Brot zu versorgen? Warum musst du bis hier her kommen?“
Diese Worte erweckten Shaqiq zur Wahrheit und er kehrte nach Balkh zurück. Auf seiner Heimreise begleitete ihn ein Zoroastrier.
„Was ist dein Beruf?“ fragte ihn dieser.
„Kaufmann“, gab Shaqiq zur Antwort.
„Wenn du auf der Suche nach Einkommen bist, welches dir nicht bestimmt ist, kannst du bis zum Jüngsten Tag unterwegs sein und du wirst es nicht bekommen“, erklärte ihm dieser. „Und wenn du für Einkommen unterwegs bist, welches dir bestimmt ist, so bemühe dich nicht fort, denn es wird von selbst zu dir kommen.“
Diese Worte rüttelten Shaqiq noch weiter auf und seine Liebe zu weltlichen Gütern verlor sich.
Schließlich gelangte Shaqiq nach Balkh zurück, wo ihm seine Freunde einen warmen Empfang bereiteten, da sie ihn für seine Großzügigkeit kannten. In dieser Zeit war Ali ibn Isa ibn Haman der Emir von Balkh, der sich Jagdhunde am Hof hielt, von welchen er gerade einen vermisste. Man trug dem Emir zu, dass der Hund von Shaqiqs Nachbarn entwendet worden wäre. Der Mann wurde unter Arrest gestellt und des Diebstahls angeklagt. Als er geschlagen wurde, wandte er sich an Shaqiq um Schutz. Shaqiq begab sich also zum Emir.
„Gib mir drei Tage und ich werde dir deinen Hund zurückbringen. Lass meinen Freund frei“, bat er.
Der Emir entließ den Mann aus dem Gefängnis. Drei Tage später fing ein Mann aus der Stadt den Hund zufällig.
„Ich muss diesen Hund zu Shaqiq bringen“, dachte der bei sich, „er ist großzügig und wird mir bestimmt etwas für ihn geben.“
So brachte er den Hund zu Shaqiq, der ihn dem Emir zurückbrachte und damit sein Versprechen einlösen konnte. Daraufhin entschloss Shaqiq der Welt völlig zu entsagen.
Später einmal wurde Balkh von einer schweren Hungersnot heimgesucht und Shaqiq sah auf dem Marktplatz einen Sklaven hemmungslos lachen.
„Sklave, welchen Anlass gibt es denn für Fröhlichkeit?“ verlangte Shaqiq zu wissen. „Siehst du nicht, dass die Menschen Hunger leiden?“
„Warum sollte ich bekümmert sein?“ gab der Sklave zur Antwort.
„Meinem Herrn gehört ein ganzes Dorf und er besitzt jede Menge Korn und lässt mich niemals hungern.“
Diese Antwort ließ Shaqiq seine ganze Selbstbeherrschung verlieren.
„O Gott“, rief er, „dieser Sklave ist dermaßen glücklich, weil er einen Herrn hat, der ein paar Säcke Korn sein eigen nennt. Du bist der König der Könige und gibst uns jeden Tag unseren Unterhalt. Warum sollten dann wir traurig sein?“
Daraufhin gab er die Beschäftigung mit weltlichen Dingen völlig auf und unterzog sich umfassender Reue. Er machte sich auf den Weg zu Gott, in welchen er ausschließliches Vertrauen legte. Er pflegte zu sagen, „Ich bin der Schüler eines Sklaven.“
Hatim der Taube erzählte folgende Begebenheit.
Ich zog mit Shaqiq in den kleinen Dschihad, als eines Tages der Kampf sehr heftig wogte. Die Reihen wurden so eng gezogen, dass man außer Lanzenspitzen nichts mehr sehen konnte und Pfeile regnete es vom Himmel.
„Hatim“, rief mir Shaqiq zu, „wie gefällt es dir? Vielleicht denkst du, es wäre letzte Nacht, als du in deinem Bett mit deiner Frau gelegen hast!“
„Keineswegs“, gab ich zurück.
„In Gottes Namen“, rief Shaqiq, „warum nicht? So fühle ich mich jedenfalls. So wie du dich letzte Nacht in deinem Bett gefühlt hast.“
Die Nacht brach an und Shaqiq legte sich nieder in seinen Umhang eingehüllt und war gleich eingeschlafen. Sein Vertrauen in Gott war so tief, dass er inmitten der Feinde sofort tief und fest einschlafen konnte.
Eines schönen Tages, als Shaqiq einen seiner Vorträge hielt, lief das Gerücht durch die Stadt, der Feind stünde vor den Toren. Shaqiq lief hinaus, machte den Ungläubigen Beine und kam gleich wieder zurück. Ein Schüler hatte einige Blumen neben seinen Gebetsteppich gelegt. Shaqiq nahm sie und roch daran.
Ein ignoranter Zeitgenosse sah dies und rief.
„Eine Armee steht vor der Stadt und der Imam der Muslime hält Blumen an seine Nase!“
„Der Heuchler sieht das Riechen an den Blumen, das ist gut so, doch das Verjagen der Feinde sieht er nicht“, gab Shaqiq seinen Kommentar dazu.
Shaqiq-e Balkhi vor dem Harun al-Rashid
Als Shaqiq sich auf die Pilgerreise macht und in Bagdad Station machte, ließ Harun al Rashid ihn zu sich rufen.
„Bist du Shaqiq der Asket?” wollte Harun von ihm wissen.
„Ich bin Shaqiq“, antworte dieser, „aber nicht der Asket“.
„Erkläre mir das“, befahl Harun.
„Dann pass auf“, fuhr Shaqiq fort. „Der Allmächtige Gott hat dich in die Nachfolge des verlässlichen Abu Bakr gesetzt und verlangt von dir Verlässlichkeit gerade so wie von diesem. Er hat dich in die Position des, zur Unterscheidung fähigen Omars gesetzt und erwartet von dir die Fähigkeit zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden gerade so wie von diesem. Er hat dich auf den Platz des Osman gesetzt, dem zwischen den beiden Lichtern und Er erwartet von dir genau wie von ihm Höflichkeit und Vorzüglichkeit. Er hat dich zum Nachfolger des Ali, des wohl Erprobten gemacht und verlangt von dir, wie von ihm, Wissen und Gerechtigkeit.“
„Sprich weiter“, rief Harun.
„Gott hat eine Wohnstatt, genannt Hölle“, fuhr Shaqiq fort.
„Er hat dich zu ihrem Türsteher erwählt und dich mit drei Dingen ausgestattet – Reichtum, dem Schwert und der Peitsche. Mit diesen drei Dingen befiehlt er dir, die Menschen von ihr fern zu halten. „Wenn ein Mensch zu dir in Not kommt, so missgönne ihm kein Geld. Wenn irgendjemand dem Befehl Gottes nicht gehorcht, lehre ihn mit dieser Peitsche. Wenn irgendjemand einen Menschen erschlägt, so führe ihn mit dem Schwert der gerechten Vergeltung zu. Wenn du dies nicht erfüllst, wirst du der Führer jener, welche die Hölle bewohnen.“
„Sprich weiter“, wiederholte Harun.
„Du bist die Quelle und deine Beauftragten sind deren Bäche“, sprach Shaqiq, „Ist die Quelle rein, wird sie dennoch nicht von der Trübe der Bäche verdunkelt. Doch wenn die Quelle trüb ist, welche Hoffnung besteht, dass die Bäche rein wären?“
„Sprich weiter“, bat Harun.
„Nimm einmal an, du bist in der Wüste am Verdursten“, fuhr Shaqiq fort. „Wie viel würdest du wohl für einen Schluck Wasser geben?“
„So viel wie der Mann verlangte“, antwortete Harun.
„Und wenn er dir nichts verkaufen würde außer für die Hälfte deines Königreiches?“
„So würde ich es ihm geben“, gestand Harun ein.
„Und nun nimm einmal an, du würdest dieses Wasser trinken und es würde deinen Körper nicht mehr verlassen wollen, sodass du in Lebensgefahr wärst?“ insistierte Shaqiq, „und dann würde dir jemand Heilung für die Hälfte deines Königreichs versprechen? Was würdest du tun?“
„Ich würde es ihm geben“, gab Harun zu.
„Warum hängst du dich dann an ein Königreich“, endete Shaqiq, „dessen Wert nicht den eines Schluck Wassers übersteigt, der dann doch wieder aus dir heraus fließt?“
Darauf weinte Harun und entließ Shaqiq in allen Ehren.
Geschichten aus dem
Tadhkirat al-Auliya’
(Erinnerung an die Heiligen)
von Farid ud-Din ATTAR
Übersetzt von M.M. Hanel