Sahl ibn Abd Allah al-Tustari
Abu Muhammad Sahl ibn ‘Abd Allah al-Tustari wurde ca. 200 (815) in Tustar (Ahwaz) geboren. Er studierte mit Sufyan al-Thauri und begegnete Dhu ‘l-Nun al-Misri. Sein ruhiges Leben wurde unterbrochen, als er 261 (874) in Basra Zuflucht suchen musste und dort 282 (896) starb. Ein kurzer Qur’ankommentar wird ihm zugeschrieben und er leistete einen enormen Beitrag zur Entwicklung Sufischer Theorie über seinen Schüler Ibn Salim, der die Salimiya Schule gründete.
Die jungen Jahre des Sahl ibn Abd Allah al-Tustari
Sahl ibn Abd Allah al-Tustari berichtet über sich selbst.
Ich erinnere mich als Gott sprach, Bin Ich nicht dein Herr? Und ich Ja sagte. Ich erinnere mich auch an die Zeit in meiner Mutter Bauch.
Ich war drei Jahre alt, als ich begann die ganze Nacht zu beten. Mein Onkel Muhammad ibn Sawwar weinte, wenn er mich so beten sah.
„Sahl, geh schlafen, du machst mich besorgt“, sagte er. Ich passte auf meinen Onkel auf, insgeheim und auch ganz offen. Eines Tages ging es soweit, dass ich zu ihm sagte, „Onkel, ich befinde mich in einem schwierigen Zustand. Es kommt mir so vor, dass ich meinen Kopf vor dem Thron niedergeworfen sehe.“
„Halte diese Stellung geheim, mein Kind, und erzähle niemandem davon“, riet er mir. Dann fügte er hinzu, „Wenn du im Bett bist und dich von einer Seite auf die andere rollst, erinnere deine Zunge zu sagen „Gott ist mit mir, Gott schaut auf mich, Gott ist mein Zeuge.““
Ich tat wie er es mir geraten hatte und sagte ihm dies auch.
„Sprich diese Worte siebenmal“, empfahl er mir.
Ich sagte ihm, dass ich dies getan hätte.
„Sprich sie fünfzehnmal.“
Ich folgte meines Onkels Anweisungen und von da an überkam eine Süße mein Herz. Ein Jahr verging. Dann sagte mein Onkel, „Behalte diese Gewohnheit bei, bis du stirbst. Die Früchte davon wirst du in dieser und in der nächsten Welt ernten.“
Jahre vergingen und ich pflegte diese Gewohnheit, bis dessen Süße in mein innerstes Herz eindrang.
„Sahl“, sagte mein Onkel, „wenn Gott mit irgendeinem Menschen ist und Gott ihn sieht, wie kann er Gott ungehorsam sein? Gott passt auf dich auf, damit du nicht ungehorsam seiest.“ Danach zog ich mich in Klausur zurück und darauf schickten sie mich in die Schule.
„Ich habe Angst, dass meine Konzentration verloren geht,“ sagte ich mir, „ich will mit meinem Lehrer abmachen, dass ich eine Stunde bei ihm bleibe und einiges von ihm lerne und dann kehre ich wieder zu meiner wahren Beschäftigung zurück.“
Unter dieser Bedingung ging ich zur Schule und erlernte den Qur’an mit sieben Jahren. Zu dieser Zeit begann ich ständig zu fasten. Mein Essen war nur Haferbrot. Mit zwölf sah ich mich einem Problem gegenüber, welches keiner lösen konnte. Ich bat, mich nach Basra zu schicken, damit mein Problem dort gelöst werden könnte. Ich kam nach Basra und befragte die Gelehrten dieser Zeit, doch keiner konnte meine Fragen beantworten. Von dort ging ich nach Abbadan zu einem Mann namens Habib ibn Hamza. Er beantwortet meine Frage. Ich blieb einige Zeit bei ihm und zog viel Nutzen von seinen Unterweisungen.
Danach kam ich nach Tustar. Zu dieser Zeit war meine Nahrungsaufnahme soweit reduziert, dass man um einen Dirham Hafer für mich kaufte, diesen mahlte und Brot für mich daraus buk. Jeden Abend brach ich mein Fasten mit einer Unze davon ohne Beilage oder Salz. So zehrte ich ein Jahr lang von einem einzigen Dirham.
Danach beschloss ich mein Fasten erst nach drei Tagen zu brechen, dann nach fünf Tagen und immer weiter, bis ich mein Fasten erst nach zwanzig Tagen brach. (Nach einem anderen Bericht, ging Sahl soweit, sein Fasten erst nach jeweils siebzig Tagen zu brechen.) Manchmal aß ich nur alle vierzig Tage ein paar Bissen.
Ich unterzog mich dem Wechsel von Hunger und Sattheit für viele Jahre. Anfangs kam meine Schwäche vom Hunger und meine Stärke vom Sattsein. Später kam meine Stärke vom Hunger und meine Schwäche vom Sattsein. Dann betete ich, „O Gott, verschließe Sahls Augen vor beidem, lass ihn Sattsein im Hungrigsein finden und Hungrigsein im Sattsein, beides von Dir kommend.“
Eines Tages sagte Sahl,“ Reue ist dem Menschen in jedem Moment verpflichtend vorgeschrieben, ob er aus noblen oder gewöhnlichem Volke stammt, ob er Gott gehorsam oder ungehorsam gegenüber ist.“
Es gab einen Mann in Tustar, der von sich behauptete gelehrt und ein Asket zu sein. Er widersprach Sahls Äußerungen.
„Er sagt, dass der Ungehorsame seinen Ungehorsam bereuen und der Gehorsame seinen Gehorsam bereuen muss”.
Und er begann die Leute gegen Sahl aufzubringen indem er verbreitete, dieser wäre ein vom Glauben abgefallener Ungläubiger. Alle, ohne Ausnahme, die Gebildeten und Gewöhnlichen folgten diesen Anschuldigungen. Sahl nahm Abstand davon mit ihnen darüber zu disputieren und ihr Missverständnis aufzuklären. Durch die reine Flamme der Religion angefeuert, schrieb er alles auf, was er besaß. Häuser, Teppiche, Möbel, Geschirr, Gold, Silber. Dann rief er die Leute zusammen und streute diese Aufzeichnungen über ihren Köpfen aus. Jedem gab er das, was auf dem Papier stand, welches jener aufhob, als ein Zeichen der Dankbarkeit dafür, dass sie ihn von den weltlichen Gütern befreit hatten. Nachdem er alles weggegeben hatte, brach er in den Hijaz auf.
„Meine Seele“, sprach er zu sich selbst, „nun bin ich bankrott. Fordere also nichts mehr von mir, denn du wirst nichts mehr von mir bekommen.“
Seine Seele war einverstanden, nichts mehr von ihm zu fordern, bis sie Kufa erreichten.
„So weit“, sagte seine Seele, “habe ich dich nicht um etwas gebeten. Jetzt will ich ein Stück Brot und Fisch. Gib mir das zu essen und ich will dich auf deinem Weg nach Mekka nicht mehr weiter stören.“
Als er nach Kufa hineinkam, sah er eine Rundmühle, in welcher ein Kamel eingespannt war.
„Wie viel bezahlt ihr pro Tag Rente für dieses Kamel?“ fragte er.
„Zwei Dirhams,“ sagten sie.
„Spannt das Kamel aus, spannt mich ein und gebt mir einen Dirham bis zum Abendgebet“, verlangte Sahl.
So machten sie es. Als die Nacht anbrach gaben sie ihm einen Dirham. Er kaufte Brot und Fisch dafür und stellte diese vor sich hin.
„Seele“, sprach er zu sich, „ jedes Mal wenn du so was willst, stell dich darauf ein, dass du von Morgen bis Abend Eselsarbeit wirst verrichten müssen.“
Danach brach Sahl zur Kaaba auf, wo er vielen Sufi Meistern begegnete. Von dort kehrte er nach Tustar zurück, wo Dho ‘l-Nun ihn bereits erwartete.
Anekdoten über Sahl ibn Abd Allah al-Tustari
Amr ibn Laith wurde so sehr krank, dass ihm kein Arzt mehr helfen konnte.
„Gibt es irgendjemanden, der um seine Gesundheit beten könnte?“ wurde gefragt.
„Sahl ist einer, dessen Gebete erhört werden“, kam die Antwort.
Seine Hilfe wurde daher angefragt. Gottes Befehl „gehorche den Befehlshabern“ im Kopf, folgte er dem ersuchen.
„Gebete“, sprach er, nachdem man ihn vor den Amr gebracht hatte, „sind nur für den Bereuenden erfolgreich. In deinem Gefängniss sind viele unrechterweise eingekerkert.“
Amr ließ sie alle frei und bereute.
„Herr, Gott“, betete Sahl, „so wie Du ihm den Ausgang seines Ungehorsams gezeigt hast, so zeige Ihm nun die, durch meinen Gehorsam erworbene Ehre. So wie Du seine innersten Glieder mit Reue umkleidet hast, so kleide nun seine äußeren Glieder mit dem Gewand der Gesundheit.“
Im gleichen Moment in dem Sahl sein Gebet sprach, wurde Amr ibn Laith wieder vollständig geheilt. Er bot dem Sahl eine Menge Geld, die der aber nicht annahm und sich aus seiner Gegenwart entfernt.
„Wenn du nur etwas davon angenommen hättest,“ warf einer seiner Schüler ein, „hätten wir unser Schulden bezahlen können, die bereits angelaufen sind. Wäre das nicht besser gewesen?“
„Brauchst du Gold? Dann schau“, rief Sahl.
Der Schüler sah sich um und erblickte alles über und über mit Gold und Edelsteinen bedeckt.
„Warum“, sagte Sahl, „sollte einer, der diese Gunst Gottes genießt, irgendetwas von einem der Geschöpfe Gottes annehmen?“
Immer wenn Sahl an einer mystischen Runde teilnahm, fiel er in Ekstase und blieb in ihr fünf Tage lang ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Im Winter war dabei sein Hemd vom Schweiß durchtränkt.
Wenn ihn in diesem Zustand die Ulema etwas fragten, pflegte er zu antworten, „Fragt mich nicht, denn in diesem mystischen Augenblick könnt ihr keinen Nutzen von mir und meinen Worten ziehen.“
Sahl ging auch über das Wasser, ohne dass seine Füße auch nur feucht wurden.
„Die Leute sagen“, bemerkte einer, „dass du über das Wasser gehst.“
„Frag den Muezzin“, gab Sahl zurück, „er ist ein ehrlicher Mann.
„Ich fragte den Muezzin“, erzählte der Mann, „ und der sagte mir, „Ich selbst habe dies nie gesehen, doch letztens war er an einem Teich um sich zu waschen und fiel hinein. Wenn ich nicht in der Nähe gewesen wäre, wäre er wohl ertrunken.“
Als Abu Ali ibn Daqqaq diese Geschichte hörte, sagte er, „Er hatte vielerlei wunderbare Kräfte, doch er wollte sie geheim halten.“
Eines Tages saß Sahl in der Moschee, als eine Taube erschöpft von der Hitze vom Himmel fiel.
„Shah ibn Kermani ist gestorben“, vermerkte Sahl. Als man nachsehen ging, stellte sich dies als richtig heraus.
Viele Löwen und andere wilde Tiere pflegten Sahl zu besuchen, die er fütterte und pflegte. Selbst heute noch wird Sahls Haus, das „Haus der wilden Tiere“ genannt.
Nach seinen langen Perioden der Enthaltsamkeit und Entbehrungen verlor Sahl seine physische Kontrolle, sodass er jede Stunde ein paar mal auf die Toilette musste. Um sich in diesem Zustand zu helfen, führte er immer einen Topf mit sich, da er nicht an sich halten konnte. Wenn die Zeit des Gebets kam, reduzierte sich seine Not. Er machte dann die Gebetswaschung und betete und anschließend begann wieder alles von vorne. Immer wenn er die Kanzel bestieg, verschwanden seine Beschwerden vollständig und wenn er herabstieg, kamen auch die Beschwerden zurück. Trotz alldem verabsäumte er auch niemals ein bisschen seine religiösen Pflichten.
Als der Tag seines Abscheidens kam, standen seine vierhundert Schüler um sein Krankenlager.
„Wer wird an deinem Platz sitzen, wer von deiner Kanzel predigen?“ fragten sie.
Auch ein Zoroastrier namens Shadh-Del war anwesend.
„Shadh-Del wird auf meinem Platz sitzen“, sagte Sahl und öffnete die Augen.
„Der Scheich hat den Verstand verloren“, murrten die Schüler. „Da hat er vierhundert Schüler, alle gelehrte Männer der Religion und er bestellt einen Zoroastrier auf seinen Platz.“
„Haltet euren Unmut zurück“, rief Sahl, „bringt mir Shadh-Del.“
Die Schüler brachten ihn.
„Drei Tage nach meinem Tod,“ sprach Sahl, als er ihn erblickte, „steig auf meine Kanzel, setze dich auf meinen Platz und predige den Leuten nach dem Nachmittagsgebet.“
Mit diesen Worten auf den Lippen verstarb Sahl. Drei Tage danach kamen die Leute zusammen und nach dem Nachmittagsgebet stieg Shadh-Del auf die Kanzel während ihn die Leute anstarrten.
„Was soll das? Ein Zoroastrier mit dem Hut der Magier auf dem Kopf und einem Gürtel um die Hüften!“
„Euer Führer“, sprach Shadh-Del, „hat mich zu seinem Botschafter für euch gemacht. Er hat zu mir gesagt. „Shadh-Del, ist die Zeit nicht für dich gekommen, denn Magiergürtel zu durchtrennen?“ und nun passt auf, jetzt schneide ich ihn durch.“
Er nahm ein Messer und schnitt den Gürtel entzwei.
„Er sagte auch“, fuhr er fort, „ist die Zeit für dich nicht gekommen, den Magier Hut abzunehmen.“ Passt auf, nun nehme ich ihn ab.“
Dann sagte Shadh-Del, „Ich bezeuge, es gibt keinen Gott ausser Gott und ich bezeuge, dass Muhammad Sein Gesandter ist.“ Er sprach weiter, „Der Scheich sagte, sag “Der euer Scheich war, hat euch gut beraten und unterrichtet und es ist eine Pflicht der Schülerschaft, den Rat des Lehrers anzunehmen. Und wisset, Shadh-Del hat den äußeren Gürtel durchschnitten. Wenn ihr mich am Tage der Auferstehung sehen wollt, so rate ich euch in heiligem Ernst, jeden von euch, schneidet eure inneren Gürtel entzwei.“
Große Bewegung entstand unter den Versammelten, als Shadh-Del geendet hatte und großartige geistige Manifestationen folgten.
An dem Tag, an dem man Sahl zu Grabe trug, säumten viele Menschen die Strassen. Es lebte auch ein siebzigjähriger Jude in Tustar. Als er den Aufmarsch auf der Strasse hörte, rannte er aus dem Haus, um zu sehen was geschehen war. Als die Prozession bei ihm vorbei kam, schrie er laut auf.
„Leute, seht ihr was ich sehe? Engel steigen vom Himmel herab und berühren seinen Leichnam mit ihren Flügeln.“
Sofort sprach er das Glaubensbekenntnis und wurde ein Muslim.
Eines Tages saß Sahl mit seinen Gefährten, als ein bestimmter Mann vorbei kam.
„Dieser Mann trägt ein Geheimnis“, sagte Sahl.
Als sie wieder aufblickten, war der Mann verschwunden.
Nach Sahls Tod saß einer seiner Schüler bei seinem Grab, als eben dieser Mann des Weges kam.
„Mein Herr“, sprach ihn der Schüler an, „der Scheich der in dieser Gruft begraben liegt, sagte einst dass Ihr ein Geheimnis mit Euch tragt. Bei Gott, der Euch dieses Geheimnis anvertraut hat, gebt mir ein Zeichen davon.“
Der Mann zeigt auf Sahls Grab.
„Sahl, sag an!“ rief er.
Eine laute Stimme erscholl aus dem Grab.
„Da gibt es keinen Gott außer Gott, der keinen Partner hat.“
„Sie sagen“, sprach der Mann, „ dass für den, der daran glaubt, dass es keinen Gott außer Gott gibt, keine Finsternis im Grab gibt. Ist das wahr oder nicht?“
Sahl rief aus dem Grab. „Es ist wahr!“
Geschichten aus dem
Tadhkirat al-Auliya’
(Erinnerung an die Heiligen)
von Farid ud-Din ATTAR
Übersetzt von M.M. Hanel